Damit wird etwas zurechtgerückt

Tafel im Schillerpark. Wir müssen wissen, dass Josef Weinheber ein Nazi war; seine Gedichte dürfen uns dennoch gefallen.

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Was tun, wenn man Gedichte mag, aber der Dichter ein Nazi war? Nicht so ein kleiner österreichischer Mitläufer, der nie – ich schwöre! – auch nur das Geringste bemerkt hat, und es tut ihm auch leid, sondern ein richtiger, der den „Anschluss“ 1938 begeistert begrüßt und als Dichter mit Hetze und heißem Herzen besungen hat. Nach dem Krieg hat man das gern übersehen. Auch Oskar Werner – ein Schauspieler ohne Nazi-Vergangenheit – hat aus „Wien wörtlich“ gelesen, und kaum jemand hat etwas dabei gefunden. Heute nehmen wir es genauer. Auch Österreich hat dazugelernt.

Aber es hat gedauert. Das Denkmal für Josef Weinheber, den Adolf Hitler in die Liste der „Gottbegnadeten“ aufgenommen hatte, wurde – man staune! – 1975 errichtet, aus einsehbaren Gründen im Schillerpark gegenüber der Akademie der bildenden Künste, nachdem Weinheber in der NS-Zeit deren Ehrenmitglied geworden war. Aus einsehbaren Gründen stammt auch die Büste für das drei Jahrzehnte nach dem Untergang Nazi-Deutschlands errichtete Denkmal aus der Nazi-Zeit. Einsehbar aber auch, dass das Denkmal später mehrmals beschmiert wurde. Und dann wurde der Kopf gestohlen. Doch Wien gab nicht nach. Anstelle des Sandsteinsockels kam einer aus Granit, der leichter zu putzen ist, mit einem Betonfundament, das stärker trägt, und aufgesetzt wurde ein neuer Abguss des nationalsozialistischen Originals, aber diesmal noch besser befestigt. Damit der „Gottbegnadete“ nicht wieder den Kopf verliert.

Danach war Ruhe, bis in der Akademie gegenüber ein Kreis von Studierenden zusammenfand und eine Plattform Geschichtspolitik bildete. Diese Plattform fand das Denkmal in der bestehenden Form unerträglich, ästhetisch und inhaltlich wie ein Relikt aus nationalsozialistischer Zeit. Man beschloss, etwas zu tun: das unterirdische Betonfundament freizulegen, „um das Denkmalensemble in seiner Gesamtheit sichtbar zu machen“, eine Kunststoffapplikation in Form einer Farbschüttung am Sockel anzubringen und das Denkmal textlich zu kommentieren.

Das Projekt wurde eingereicht und verendete auf dem magistratischen Dienstweg. Daraufhin schritten 2013 einige Studenten mit Schaufeln zur Tat, legten das Fundament frei, deckten die entstandene Grube mit künstlichem Rasen ab. Hat interessant ausgesehen. Das Stadtgartenamt schüttete das Loch wieder zu. Wir kennen das im Umgang mit unserer Geschichte: aufdecken und zuschütten.

Jetzt kommt eine Tafel

Bis es nicht mehr geht. Jetzt ist es so weit. Die Plattform Geschichte hat sich mit dem Weinheber-Projekt auch theoretisch gründlich befasst, hat publiziert und sich durchgesetzt, gräbt wieder das Loch und bringt eine kommentierende Tafel zu Weinheber an, dem nationalsozialistischem Dichter. Endlich.

Ein Großteil des Werks von Weinheber interessiert literarisch heute kaum jemanden, und das wahrscheinlich zu Recht. Aber mit „Wien wörtlich“ befindet er sich im österreichischen, jedenfalls im Wiener Literaturkanon. Da haben wir ein Problem. Wir sollten, diese Gedichte lesend, wissen, dass der Dichter ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit war, aber sie dürfen uns dennoch gefallen. Es ist so. Die künstlerische Intervention beim Weinheber-Denkmal auf dem Schillerplatz macht diesen Zwiespalt großartig sichtbar. Am Freitag, den 7. Juni, um 10 Uhr wird sie mit Reden der Stadträtin, der Rektorin, der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz und der künstlerischen Gestalter Eduard Freudmann und Gabu Heindl feierlich eröffnet. Damit wird etwas zurechtgerückt.

Dr. Peter Huemer (* 1941 in Linz) war ab 1969 Mitarbeiter des ORF, von 1977 bis 1987 leitete er den „Club 2“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2019)

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