Können junge Akademiker nichts mehr?

(c) Peter Kufner
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Zur Debatte um Studierunfähigkeit und dazu, wo das neue Universitätsgesetz (UG) in Österreich ansetzen müsste.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Seit 23 Jahren unterrichte ich Kommunikationswissenschaft an Österreichs Universitäten – und die Studenten werden immer schlechter. Von Semester zu Semester ist eine Abnahme an Vorwissen und Motivation zu bemerken. Im letzten, sechsten Semester eines Bachelorstudiums fehlt es an allen Ecken und Enden: Studenten können nicht richtig wissenschaftlich zitieren, nicht eigenständig Forschungsfragen und Hypothesen formulieren und keine sinnvollen Erhebungsinstrumentarien wie Fragebögen entwerfen. Sie kennen sich bei den empirischen Methoden und bei in den Sozialwissenschaften gängigen Softwaresystemen nicht aus. Was ist hier schiefgelaufen?

Mit meinen Klagen bin ich nicht allein. Unter dem Titel „Da läuft etwas ganz schief“ kam der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin 2018 in der Zeitschrift „Forschung & Lehre“ zu einem ganz ähnlichen Schluss. Und das Problem beschränkt sich nicht nur auf die Sozial- und Geisteswissenschaften. Mathematiker aus Deutschland (2017) und Österreich (2018) beklagten in offenen Briefen an die zuständigen Bildungsminister analoge Wahrnehmungen in ihrem Fach.

Auch diese Beobachtungen quer durch die Fächer könnten nicht bloß Einzelfälle sein. Die Studie „Academically Adrift“ hat 2011 gezeigt, dass amerikanische College-Studenten innerhalb von vier Semestern so gut wie nichts dazulernen. Ein Sammelband der Konrad-Adenauer-Stiftung über „Ausbildungsreife und Studierfähigkeit“ (2016) bringt das Problem für Deutschland auf den Punkt und spricht von der „nachlassenden Studierfähigkeit heutiger Jugendlicher“. Eine Langzeitstudie von Gerhard Fritz für die Geschichtswissenschaften von 2002 bis 2017 bestätigt den Verlust an Sprachkompetenz und Wissen eindrücklich. Eklatante Defizite gibt es in den Bereichen Rechtschreibung, Selbstständigkeit (Proaktivität) und analytisches Denken (Unterscheidungsvermögen). Es fällt Studierenden offenbar zunehmend schwer, zwischen These und Realität jenseits einer These zu unterscheiden. Es fällt ihnen schwer, selbst einfachste Unterscheidungen, die sie (auswendig?) gelernt haben, auf ein Phänomen anzuwenden. Sollte uns das nicht Angst machen?

Bei Bildung und Forschung werde nicht gespart, heißt es seitens der Politik immer wieder. Was aber, wenn das Geld für Bildung und Forschung für die falschen Dinge ausgegeben wird? Im Moment sind Digitalisierungsoffensiven, Digitalisierungsstrategien en vogue. Alles soll smart werden: die Lehre, die Medien, die Tools. Im aktuellen Wahlkampf der Hochschülerschaft wirbt eine Studentenfraktion mit der „digitalen Hochschule“, der Student trägt eine Cyberbrille. Das Geld scheint in die Technik, die Infrastruktur zu fließen. Wäre es nicht gescheiter, das Geld würde in die Menschen, in deren Köpfe fließen? Brauchen wir intelligentere Technologien oder intelligentere Menschen? Was müsste getan werden? In einem ersten Schritt bedarf es einer empirischen Erhebung in Österreich, die untersucht, ob das Problem vorhanden ist. Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass die Einzelbeobachtungen und ersten wenigen Studien recht haben, dann müssen diese Erkenntnisse auch in die Diskussion um das neue Universitätsgesetz (UG) in Österreich einfließen. Konkret:

1. Betreuungsrelation: Immer wieder sagt die Politik, die Betreuungsrelation müsse verbessert werden, es müssen mehr Lehrende für die Studierenden da sein. Das geht seit Jahren am wahren Problem vorbei: Wir brauchen nämlich nicht mehr Lehrende, sondern mehr engagierte, genau hinschauende und anwesende Lehrende. Das beste Betreuungsverhältnis hilft nichts, wenn Professoren nur einen Tag die Woche am Institut vorbeischauen, wenn deren Diplomarbeiten und Dissertationen die Studienassistenten und Tutoren lesen. Uwe Kamenz hat das Problem im Buch „Professor Untat“ schon vor Jahren beschrieben. Wir brauchen also nicht mehr Forscher, es sollten vielmehr die richtigen angestellt werden.

2. Stellenbesetzungen: Es muss Schluss sein mit den auf eine bestimmte Person gemünzten Stellenausschreibungen unter dem Deckmantel der Suche nach dem Bestqualifizierten. In Wahrheit werden so nur Seilschaften gestärkt. Es geht auch nicht länger an, dass zwischen Stellenausschreibung und Stellenbesetzung zwei oder mehr Semester vergehen. Das alles kann in einem neuen Universitätsgesetz zum Wohle der Qualitätsverbesserung neu und anders geregelt werden.

► 3. Betreuungspflicht: Lehrende müssen sich zu einem engmaschigen, modularen Coaching der Studenten verpflichten, und Verstöße müssen sanktioniert werden. Es kann nicht sein, dass angestellte wie externe Lehrende ihr Desinteresse an der Wissenschaft ausleben und mehr oder weniger alles und jeden durchwinken, damit sie selbst wenig Arbeit haben.

► 4. Pflicht zur Qualitätssicherung: Lehrende müssen zur Sicherung der Qualität ihrer eigenen Forschung wie auch der betreuten Abschlussarbeiten verpflichtet werden. Darüber hinaus soll eine Verpflichtung zur Plagiatskontrolle ab dem ersten Semester bestehen. Die technischen Voraussetzungen für eine nahtlose Integration von Plagiatssoftware in Learning-Management-Systeme sind nun da. Parallel dazu hört man von mehreren Universitäten, dass die einen Lehrenden mit Software kontrollieren, die anderen hingegen nicht. Das muss der Vergangenheit angehören. Ein „Plagiats-TÜV“ aller wissenschaftlicher Texte muss genauso Standard werden wie das jährliche Pickerl fürs Auto.

5. Notenskala ausschöpfen und Noten erfassen: Der Kuschelkurs an Unis muss beendet werden. Wissensbilanzen sollten nicht nur die Anzahl der Abschlüsse erfassen. Sondern auch die Noten der Absolventen sollten erhoben werden, ja mehr noch sollte man sich Kennzahlen für Innovation und Content-Qualität überlegen. Die Absolventenzahl allein sagt nichts aus. Sie kann etwa nur heißen, dass jeder durchgewinkt wurde. Schon jetzt ist es so, dass jedes Institut aufgrund der Dotierungskriterien an möglichst vielen Absolventen interessiert ist – zum Preis der Qualität.

Warum nicht Studenten-Pisa?

Die Bestrebungen der OECD, ein Programm wie Pisa auch für die Unis zu entwickeln, sind bislang im Sand verlaufen. Das Projekt mit dem Markennamen Ahelo (Assessment of Learning Outcomes in Higher Education) scheiterte an den Widerständen der nationalen Politiker und auch der Professoren. Aber warum eigentlich? So wissen wir momentan nichts Genaues über den Bildungslevel unserer Uni-Absolventen. Es gibt keine österreichweiten Abschlussnotenstatistiken, nicht einmal zu den drei Abschlussbeurteilungen „Mit Auszeichnung bestanden“, „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“. Es gibt kein Monitoring wissenschaftlichen Fehlverhaltens und studentischen Schummelns wie Plagiat oder Ghostwriting. Es gibt keine Studien zur Content-Qualität von Abschlussarbeiten.

Fein für die Politik: Wenn man offiziell nichts weiß, muss man nicht handeln. Man beschäftigt sich mit Burkas an Schulen, während das eigentliche Problem womöglich ein ganz anderes ist.

Der Autor

Dr. Stefan Weber (* 1970) unterrichtet Kommunikationswissenschaft und ist Plagiatsgutachter. Büche: „Die Medialisierungsfalle“, „Das Google-Copy-Paste-Syndrom“ und „Roboterjournalismus, Chatbots & Co.“ Forschungsschwerpunkte sind Plagiatssoftware und Automated Content. Sein nächstes Buch wird sich mit Studierunfähigkeit beschäftigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2019)

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