Alles fließt, alles flirrt, alles zuckt

„Im Tiefsten meiner Seele bin ich Malerin“, sagt die Universalkünstlerin Mara Mattuschka, die ihre vielen Ichs auch zu Zelluloid brachte.
„Im Tiefsten meiner Seele bin ich Malerin“, sagt die Universalkünstlerin Mara Mattuschka, die ihre vielen Ichs auch zu Zelluloid brachte.Filmarchiv Austria
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Seit den 1980ern zelebriert die Verwandlungskünstlerin Mara Mattuschka die Löslichkeit des Selbst – auch auf der Leinwand. Eine Werkschau zeigt ihre Metamorphosen.

Schaben, Kratzen, Herzklopfen, dann geht es los: Mimi Minus, Superstar und Wunderwesen, gebiert sich selbst. Per Stopptrick-Technik schält sie sich aus ihrem Kokon, Strumpfhosen und Zeitungsblätter reißen auf und blättern ab. Dahinter kommt ein Kopf zum Vorschein, der sich langsam dreht und wendet, ein Mund, der wie besessen zu plappern scheint. Schließlich erstarrt das Antlitz zum sepiafarbenen Negativbild, das in einer unheimlichen Diashow immer dichter überzeichnet wird, bis zur scheinbaren Auflösung in reiner Kontur.

Minus ist ein Alter Ego der Universalkünstlerin Mara Mattuschka. In ihrem frühen Kurzfilm „Nabel Fabel“ (1984) erblickt sie erstmals das Licht der Welt. Es gibt auch andere: Mahatma Gobi, Madame Ping Pong, Ramses die II. Doch keine von ihnen hat die alleinige Deutungsmacht über Mattuschkas Persönlichkeit, keine ist höhergestellt, untergeordnet oder eindeutig definiert.

In der quirligen Kunstwelt der österreichischen Avantgardistin gilt letztlich nur ein Prinzip: panta rhei. Lange bevor Begriffe wie Identitätspolitik, Geschlechternormativität oder Genderwahn zu Schlagwörtern im öffentlichen Diskurs avancierten, zerfledderten Mattuschkas Filme den Mythos vom fixen Ich, indem sie den vielen Seelen in ihrer Brust verspielten Freilauf ließen. Das Filmarchiv Austria widmet der Unangepassten nun eine Werkschau zum Sechziger, die bis 21. Juni im Wiener Metro-Kino läuft und von einer Publikation begleitet wird.

Geboren wurde Mattuschka in Bulgarien. Schon als junges Mädchen sorgte sie dort mit ihrem mathematischen Talent für Aufsehen. Doch bald regte sich Skepsis gegenüber der ordnenden Kraft der Vernunft – und das Bedürfnis nach schrankenlosem Ausdruck. Es entstanden erste künstlerische Gehversuche, surreale Gedichte und Kurzgeschichten. 1976 verschlug es Mattuschka nach Wien, wo sie zunächst Ethnologie und Sprachwissenschaft studierte, dann Malerei und Animation bei Maria Lassnig.

„Im Tiefsten meiner Seele bin ich Malerin“, meint Mattuschka am Anfang von Elisabeth M. Klockers treffend betiteltem Porträtfilm „Different Faces of an Anti-Diva“ (der heute gezeigt wird). Die Selbstbepinselungen ihrer Filme aus Studientagen erinnern tatsächlich an bildnerische Arbeiten von Arnulf Rainer oder Günter Brus, sie atmen auch den Geist des Wiener Aktionismus. Doch Mattuschkas Gestus ist lockerer, alberner, weniger schmerzensselig. In „Parasympathica“ (1986) zappelt sich Mimi Minus als schwarz-weiß eingefärbtes Zwitterwesen durch eine Posenparade, die Charaktereigenschaften fassen soll, ihr clowneskes Gehabe führt die Typologie ad absurdum.

Ihr Leib ist „Pinsel, Bleistift, Gedanke“

Die Käfige der Zeichen, der Sprache und der sozialen Rollenbilder, ihr ständiger Konflikt mit der Eigenwilligkeit des Körperlichen, das sind die Leitmotive im Schaffen Mattuschkas. Ihr Leib ist dabei „Pinsel, Bleistift und Gedanke“, wie sie in einem Interview verriet. Oft steht er im Mittelpunkt, wird wie in „Loading Ludwig“ (1989) immer neuen Metamorphosen unterzogen: Boxerin wird Wissenschaftlerin wird nackte Kaiserin mit Hexennägeln. Manchmal wirkt das absichtsvoll schludrig, erinnert an Trash, Camp oder B-Movies, wie in der komisch-grotesken Horrorminiatur „Id“ (2003). Mattuschka: „Dinge, die in sich perfekt sind, sind in gewissem Sinne steril.“

Auf einen Nenner bringen lässt sich das Œuvre der Tricksterin nicht. Es wechselt die Gestalten, dringt überall ein: Michael Glawoggers Kultkomödie „Contact High“ bereicherte Mattuschka etwa mit einer markanten Zeichentricksequenz. Ihre Nähe zu Kunstformen wie Tanz und Theater führten zur Kollaboration mit dem Choreografen Chris Haring. Diese zeitigte bislang fünf Filme, manche von ihnen verleihen Harings Performances kamerataugliche Form: In „Legal Errorist“ wird eine Frau gleichsam von ihren eigenen Gedankenblitzen durchgepeitscht, zuckt und verrenkt sich, pendelt zwischen zu nah und weit weg hin und her.

Seit 2012 hat sich etwas mehr Erzählwille in die Arbeiten Mattuschkas eingeschlichen. „Qvid Tvm“, „Perfect Garden“, „Stimmen“ und „Phaidros“ sind länger als frühere Filme, bewegen sich auf teils narrativen Pfaden durch barocke Paralleldimensionen – feiern aber weiterhin die Löslichkeit des Selbst. Und flirren immer noch wie Mimi Minus: unabhängig und unberechenbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2019)

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