Menschenrechtsexperte zu Polizeigewalt: "Zeiten der Folter sind vorbei"

Die Presse
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Um Vorfälle wie jene auf der Klimademo in Wien aufzuklären, fordert Manfred Nowak eine unabhängige Untersuchungsbehörde. Die Umsetzung einer solchen sei "unter der Kurz-Regierung eingeschlafen". Die Videos in Sozialen Medien sind für ihn „kein endgültiger Beweis“.

Nach den Fällen von Polizeigewalt bei einer Klima-Demonstration in Wien hat Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak die Einrichtung einer unabhängigen Behörde zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei gefordert. "Die Videos an sich sind kein Beweis für eine unmenschliche Behandlung, aber sie sind ein Indiz dafür, dass etwas falsch gelaufen sein könnte", sagte Nowak.

Die Polizei darf bei Einsätzen "nicht selbst provozieren und sich nicht provozieren lassen". "Das unterscheidet eine professionelle Polizei in einem Rechtsstaat von einer nicht professionellen", sagte der Menschenrechtsexperte. Der Gründer des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte forderte, dass Gewaltvorwürfe gegen Polizisten "so schnell wie möglich und so effizient wie möglich untersucht werden müssen". Damit könnte auch "eine ganz andere Polizeikultur etabliert werden", sagte der Experte. Die Erstuntersuchung wurde "wieder durch die Polizei gemacht, auch wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren an sich zieht, reicht das nicht und es ist viel zu spät reagiert worden", kritisierte der Jurist.

Einheit außerhalb des BMI

"Wenn es einen Polizeieinsatz gibt, wo Gewalt ausgeübt wurde, muss es sofort unabhängige, externe Untersuchungen geben. Eine solche spezielle Einheit muss außerhalb der Weisung des Innenministeriums angesiedelt sein, gleichzeitig aber alle polizeiliche Funktionen haben und auch Beamte festnehmen dürfen, bevor sie sich untereinander verabreden", verlangte Nowak. Eine solche Behörde fordern Experten seit Jahrzehnten. Der Jurist war selbst zwölf Jahre lang Leiter einer unabhängigen Menschenrechtskommission im österreichischen Innenministerium, bis diese der Volksanwaltschaft unterstellt wurde. Laut ihm gibt es bereits ein Konzept für eine unabhängige Behörde, dieses müsste nur umgesetzt und gesetzlich legitimiert werden. "Unter der Kurz-Regierung ist das eingeschlafen", sagte Nowak.

Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen vier Beamte, unter anderem wegen dem Verdacht der schweren Körperverletzung. Ein Polizist, der mehrfach auf einen am Boden fixierten Demonstranten eingeschlagen hat, wurde versetzt, weitere dienstrechtliche Maßnahmen sind für die Wiener Polizei nicht erforderlich. Von diesem Vorfall gibt es ein Video, das laut Nowak "natürlich verstörend ist". Allerdings ist "das sicherlich kein endgültiger Beweis, man sieht zu wenig", sagte der Menschenrechtler. Prinzipiell gelte aber, "sobald eine Person fixiert ist, gibt es keinen Grund mehr, auf sie einzuschlagen", betonte Nowak.

Definitiv „Fehler gemacht"

Weitere Videos zeigen, wie ein deutscher Demonstrant von zwei Beamten unter einem Polizeiwagen fixiert wurde. Dieser fuhr wenig später los, im letzten Moment konnten die beiden Polizisten den Mann nach oben reißen und so verhindern, dass sein Kopf überrollt wurde. Hier habe definitiv "jemand einen Fehler gemacht", sagte Nowak. "Es wäre aber absurd zu sagen, man wollte den wirklich überfahren."

Laut dem Juristen gibt es "nicht so viele Misshandlungsvorwürfe in Österreich, es sind wenige hundert pro Jahr, viele davon nicht begründet. Wirklich relevant sind vielleicht hundert im Jahr", sagte Nowak. Ein Vorwurf der Polizeispitze war unter anderem, dass die Demonstranten nicht kooperiert haben, ihre Vorwürfe nicht untersucht werden können, weil diese anonym geäußert wurden und niemand Anzeige erstattet hat. Gäbe es die unabhängige Behörde, "bin ich sicher, dass diese Personen sehr wohl kooperieren, wenn nicht sofort die Angst dahinter stehen muss, dass sie selbst eine Verleumdungsanzeige bekommen", sagte der Menschenrechtsexperte. Denn das "ändert die Polizeikultur und das Umgehen der Leute mit der Polizei".

Polizei muss aus Fehlern lernen können

Nowak kritisierte auch die Reaktion der Polizeiführung auf die Vorwürfe. "Es wird immer sofort geblockt, gesagt, die Anschuldigungen sind falsch. Aber es ist ja auch nicht im Interesse der Polizei, dass sie nicht den Korpsgeist vertritt und sofort bis hinauf zum Präsidenten gesagt wird, es ist alles okay. Wenn es einen Fall gibt, wo sich jemand falsch verhalten hat, muss er zur Verantwortung gezogen werden, damit nicht die ganze Polizei unter Verdacht gerät", sagte Nowak. "Immer aber gleich mit der Strafrechtskeule zu kommen ist auch falsch. Es muss niederschwelliger angesetzt werden, damit die Polizei aus ihren Fehlern lernen kann", forderte der Jurist.

Am Donnerstagabend ist in Wien eine Demonstration gegen Polizeigewalt geplant. Die Organisatoren erwarten 1.000 Teilnehmer, die Polizei wird mit 490 Beamte im Einsatz sein. "Die Deeskalationsstrategie ist die einzig wirksame", sagte Nowak. Natürlich müsse die "Polizei Flagge zeigen und mit genügend Beamten im Einsatz sein". Aber sie müsse "im Prinzip davon ausgehen, dass es friedlich bleibt, nicht martialisch sofort die Wega in voller Vermummung und Ausrüstung vorne hinstellen. Das soll zwar einschüchtern, führt aber sehr oft zum Gegenteil und zu gewalttätigen Reaktionen", erläuterte Nowak.

Zeiten der Folter vorbei

Der Experte kritisierte außerdem, dass die Polizei oft "versucht, schwierigen Situationen durch Einkesselung Herr zu werden". "Das sollte sie tunlichst vermeiden und nicht kollektive Maßnahmen setzten, sondern versuchen, aggressive oder gewalttätige Personen in einer Blitzaktion festzunehmen. Gut geschulte Beamte können das sehr gut, Rädelsführer mit Gewalt rausnehmen. Wenn die weg sind, zeigt das sowohl eine einschüchternde als auch eine deeskalierende Wirkung", erläuterte Nowak.

In der Vergangenheit habe die heimische Exekutive bereits "sehr viel gelernt. Die Zeiten, wo gefoltert wurde, sind im Prinzip vorbei", betonte Nowak. Er verwies auch darauf, dass jener Einsatz am vergangenen Freitag, wo die Sitzblockade aufgelöst wurde, "sicher kein einfacher war". Und dass die Polizei legitimiert ist, "unmittelbare Zwangs- und Befehlsgewalt auszuüben". Das ist zulässig, wenn es verhältnismäßig ist. Aber auch mit aggressiven Personen "muss eine rechtsstaatlich gut ausgebildete Polizei umgehen können und nicht selbst aggressiv werden. Es ist ein schwieriger und verantwortungsvoller Beruf", sagte er.

(APA)

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