Deutschlands größter Serienmörder

Niels Högel wegen 85 Morden verurteilt.
Niels Högel wegen 85 Morden verurteilt.(c) REUTERS (POOL)
  • Drucken

Der Ex-Krankenpfleger Niels Högel wurde wegen Mordes an 85 Menschen in Intensivstationen verurteilt. „Manchmal reicht die schlimmste Fantasie nicht aus“, sagt der Richter.

Berlin/Oldenburg. Nach allem, was man bisher weiß, begann die größte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte im Februar 2000 auf Station 211 des Klinikums Oldenburg in Niedersachsen. Hier wurde aus dem Krankenpfleger Niels Högel erstmals der Patientenmörder Niels Högel.

Er tötete meist in der Nachtschicht, zuerst in Oldenburg, dann in einem Klinikum in Delmenhorst. Bis er 2005 aufflog. Pfleger erwischten ihn, als er auf der Intensivstation die Spritzenpumpe eines Patienten manipulierte.

„Buchhalter des Todes“

14 Jahre später sitzt Högel auf der Anklagebank – er hat schwarzes gegeltes Haar, Dreitagebart und einen Ohrring. „Manchmal reicht die schlimmste Fantasie nicht aus, um zu beschreiben, was Sie getan haben“, erklärte ihm der vorsitzende Richter, der sich angesichts der vielen Fälle wie ein „Buchhalter des Todes“ vorkam.

Die Staatsanwaltschaft hatte Högel in 100 Fällen angeklagt. Das jüngste Opfer sei demnach 34, das älteste 96 Jahre alt gewesen. Högel selbst räumte 43 Morde ein, in Dutzenden anderen Fällen fehle ihm die Erinnerung, nur einige wenige stritt er dezidiert ab.

Der 42-Jährige wurde schließlich am Donnerstag vom Landgericht Oldenburg nicht rechtskräftig wegen des Mordes an 85 Menschen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Kammer stellte eine besondere Schwere der Schuld fest. In sechs weiteren Fällen (darunter zweimal Mord) war Högel schon davor verurteilt worden. Er sitzt seit zehn Jahren im Gefängnis.

Ermittler fürchten, dass es noch deutlich mehr Opfer geben könnte als vom Gericht festgestellt. Erstens hat Högel selbst eingeräumt, er erinnere sich nicht, dass er „Pausen“ eingelegt habe. Zwischen den Mordfällen liegen aber teils größere Zeiträume. Zweitens ist die Exhumierung feuerbestatteter Leichen nicht möglich. Der Fall sprengt jedenfalls alle Dimensionen, das mutmaßliche Motiv erschüttert. Högel tötete wohl aus Geltungsdrang. Er spritzte den Patienten eine Medikamentenüberdosis, um sie in lebensbedrohliche Situationen zu bringen. Dann versuchte er, sie zu reanimieren. Er wollte vor Kollegen Eindruck machen, sich als Lebensretter in Szene setzen. „Sie sind eine narzisstische Persönlichkeit“, erklärte der Richter am Freitag. Das Wiederbeleben wurde zur Obsession. Högel bekam auch Anerkennung: Man nannte ihn Zeugenaussagen zufolge den „Rettungs-Rambo“, andere sollen ihm aber den Beinamen „Todes-Högel“ oder „Sensen-Högel“ gegeben haben.

Dieser Fall gibt Rätsel auf. Zwar handelte Högel allein, aber natürlich steht die Frage im Raum, wieso seine tödlichen Schichten, die vielen Sterbefälle, nicht schon früher Konsequenzen hatten. In Oldenburg hatten sie Högel auf eine andere Station versetzt, bis er mit gutem Arbeitszeugnis in die Klinik in Delmenhorst wechselte. Dort ermordete Högel noch mehr Menschen. Sonderermittler belasten einige Klinikmitarbeiter. Diese sollen Kollegen vor Aussagen eingeschüchtert haben und zumindest etwas geahnt haben. Einige Zeugen gaben an, sie hätten nichts bemerkt oder Erinnerungslücken, andere wollen die vielen Todesfälle in Högels Schichten aber sehr wohl aufgefallen sein.

Weitere Prozesse

Vier ehemalige Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst werden sich wegen Tötung durch Unterlassen vor Gericht verantworten müssen. Weitere Prozesse, etwa wegen Meineids, könnten folgen. Auch gegen Personal in Oldenburg wird ermittelt. Der wohl größte Massenmord in der deutschen Nachkriegsgeschichte scheint längst nicht vollständig aufgearbeitet.

Högel selbst entschuldigte sich gegen Prozessende für seine „schrecklichen Taten“: „Reue und Scham sind meine täglichen Begleiter.“ Zweifel sind angebracht. Gutachter beschrieben ihn als „kompetenten Lügner“, dem es an Schuld, Scham und Reue fehle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.