„Ich muss Italienern zu essen geben“

Matteo Salvini denkt nicht daran, angesichts leerer Staatskassen auf die versprochenen Finanzgeschenke zu verzichten: Der Lega-Chef geht auf Konfrontationskurs mit Brüssel.
Matteo Salvini denkt nicht daran, angesichts leerer Staatskassen auf die versprochenen Finanzgeschenke zu verzichten: Der Lega-Chef geht auf Konfrontationskurs mit Brüssel.(c) APA/AFP/MIGUEL MEDINA (MIGUEL MEDINA)
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Die Populistenregierung will trotz drohender Strafmaßnahmen aus Brüssel nicht auf kostspielige Sozialreformen verzichten. Besonders stur gibt sich Lega-Chef Salvini.

Rom. Der Nervenkrieg zwischen Rom und Brüssel geht in die heiße Phase. Nachdem die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen das verschuldete Italien empfohlen hat, ist jetzt die Populistenregierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung am Zug: Rom muss argumentieren, wie es Dutzende Milliarden einsparen will, um die EU-Ausgabengrenze einzuhalten.

Die Zeit drängt: Am 9. Juli werden die EU-Finanzminister entscheiden, ob sie das Verfahren einleiten wollen. Dies könnte zu einer Strafe von 3,5 Milliarden Euro führen – und einer Panikreaktion auf den Märkten: Ein Glaubwürdigkeitsverlust des wirtschaftlich schwächelnden Italiens würde die Rendite italienischer Staatsanleihen in die Höhe treiben. Rom könnte dann seine Schulden nicht mehr zurückzahlen. Leidtragende wären vor allem die Italiener, die wichtigsten Gläubiger: Italienische Banken halten Staatsschulden im Wert von 400 Mrd. Euro. Der Bankrott der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft wäre für die Gemeinschaftswährung kaum verdaubar.

Horrorszenarien wie Eurokrise oder Italexit scheinen plötzlich wieder möglich – vor allem angesichts der ersten Reaktionen aus Rom. So zeigte Premier Giuseppe Conte zwar „Dialogbereitschaft“ mit Brüssel, man werde ganz bestimmt die Stabilitätskriterien einhalten. „Ich will nicht der erste italienische Premier sein, der ein EU-Strafverfahren erleidet.“ Zugleich machte er klar, dass seine Regierung nicht auf die kostspieligen Sozialmaßnahmen verzichten werde. So können die Italiener wieder früher in den Ruhestand gehen, was heuer 6,7 und 2020 sieben Milliarden kostet. Für das neu eingeführte Grundeinkommen muss die Regierung heuer 6,1 Milliarden Euro zahlen, insgesamt werden die Kosten auf 17 Milliarden geschätzt.

Conte hat auch klargemacht, dass das Budget für 2019 nicht angerührt wird – obwohl Italiens Staatsverschuldung heuer auf 133,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts und 2020 auf 135,2 Prozent steigen wird; EU-Regeln erlauben maximal 60 Prozent. Der Premier setzt auf Zahlentricks: Roms Berechnungen zufolge fällt das Haushaltsdefizit heuer mit 2,2 Prozent deutlich unter der von Brüssel vorgesehenen 2,5-Grenze aus – dank „positiver Effekte“ der Sozialreformen.

Conte zitiert Kriegsgedicht

Deutlich kampfbereiter gibt sich der starke Mann der Regierung, Innenminister Matteo Salvini: „Wenn die Italiener Hunger haben, muss ich ihnen etwas zu essen geben“, bietet der Lega-Chef Brüssel die Stirn. Partout nicht verzichten will er auf die versprochenen Steuersenkungen in Form einer Flat Tax, die das Budgetloch weiter aufreißen wird. „Damit können die Italiener mehr arbeiten. Das ist die einzige Art, um unsere Verschuldung zu reduzieren.“

Salvinis Lega war es auch, die im Schuldenstreit mit Brüssel eine neue „Waffe“ in Umlauf brachte: die „Minibots“. Die Ausstellung dieser kurzfristigen Staatsanleihen in Stückelung von fünf bis 500 Euro wurde bereits vom Parlament abgesegnet. Experten sehen darin den Versuch, eine Parallelwährung zum Euro einzuführen. Scharfe Kritik daran kam gestern von EZB-Präsident Mario Draghi: „Sie sind gleichbedeutend mit Geld und damit illegal. Oder sie sind Schulden, dann wächst der Schuldenberg.“

Erst am Montag hat Conte mit Rücktritt gedroht, sollten Lega und Fünf Sterne keine „konstruktiven“ Verhandlungen mit Brüssel zulassen. Angesichts der sturen Haltung der Regierungsparteien ist schwer vorstellbar, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Zumal die Feuerprobe noch bevorsteht: Im Oktober muss der Haushalt für 2020 verabschiedet werden, ohne Einsparungen ist ein Verbleib Italiens im Euro schwer vorstellbar. Fraglich ist, ob bis dahin diese Regierung noch im Amt sein wird. Auf eine entsprechende Frage antwortete Conte mit dem Soldatengedicht von Giuseppe Ungaretti: „So/wie im Herbst/am Baum/Blatt und Blatt.“ Das Gedicht drückt Todesangst aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2019)

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