Babylon Burgtheater

Martin Kušej bringt aus München auch seine Inszenierung von „Don Karlos“ mit – das Bühnenbild dazu steht schon in Wien.
Martin Kušej bringt aus München auch seine Inszenierung von „Don Karlos“ mit – das Bühnenbild dazu steht schon in Wien. (c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Der designierte Intendant Martin Kušej bricht mit der Tradition, dass auf der Bühne nur Deutsch gesprochen wird.

Hier auf der Burgtheater-Bühne bekommt sogar die Pressekonferenz ein Bühnenbild: Oben schwebt ein gigantischer Kristallluster, im Hintergrund steht eine stachelige nachtblaue Konstruktion, die aussieht, als könnte sie wehtun – und als könnte sie so manches gesprochene Wort einfangen, wie die Wandverkleidung eines schalldichten Tonstudios. Dabei soll doch, was hier gesagt wird, nach außen dringen: Nach Monaten der Spekulationen, Mutmaßungen und zitzerlweisen Informationen präsentiert Martin Kušej, der designierte Direktor des Burgtheaters, sein Programm für die kommende Spielzeit und seine Neuerungen für das Haus.

Der 58-jährige Kärntner Slowene, der vom Münchner Residenztheater nach Österreich zurückkehrt (und von dort das „Don Karlos“-Bühnenbild mitgebracht hat), tritt nicht allein auf. Flankiert von acht Dramaturgen hebt er den Teamgedanken hervor: „Ich weigere mich, das Alleinstellungsmerkmal, das der Burgtheaterdirektor in Wien hat, anzuerkennen.“ Burgherr wolle er also keiner sein. Die Kurzform „Burg“ für das Theater am Ring lehnt er überhaupt ab. „Das kostet immer zehn Euro, wenn wer das sagt!“ Auch mit manch anderer Tradition will Kušej brechen, in den Jahren, die er an der Spitze des größten deutschsprachigen Sprechtheaters verbringen wird – und mit dem Attribut „deutschsprachig“ fängt es gleich an.

Nicht nur „Teutsch“

Das Spielzeitheft leitet Kušej mit einem Manifest für die Vielsprachigkeit ein, die in Wien ja tagtäglich gelebt werde: „Das Burgtheater wird sich also fortan und endgültig nicht mehr als ,teutsches Nationaltheater‘ begreifen, das nur in einer Zunge spricht und nur auf einem Ohr hört.“ Zum „Teutschen Nationaltheater“ hatte Joseph II. 1776 den Vorgänger des Burgtheaters erklärt und damit Deutsch als Bühnensprache festgeschrieben (und nebenbei eine Happy-End-Pflicht erlassen, an die sich – zum Glück – keiner mehr hält). Unter Kušej soll das Burgtheater, gefeierte Heimat des „Burgtheaterdeutsch“ (das freilich auch immer im Wandel war), also polyglott werden. Er kann sich auch vorstellen, gänzlich fremdsprachliche Stücke auf die Bühne zu bringen – „weil wir das auch verstehen werden“. Gerade sei er im Gespräch mit John Malkovich, der Schnitzler auf Englisch spielen könnte.

Regisseure und Premieren

Ein erster mehrsprachiger Versuch kommt am 13. 9. im Akademietheater: „Vögel“ (deutsch, englisch, hebräisch, arabisch) über eine Liebe unter schwierigen Voraussetzungen wird vom Israeli Itay Tiran inszeniert, der auch neues Ensemblemitglied wird. Am Vortag wird die Saison im Haupthaus mit Euripides' „Die Bakchen“ eröffnet; Regie führt Ulrich Rasche, der für seine „Perser“-Interpretation bei den Salzburger Festspielen ausgezeichnet wurde („ein Meisterstück an Musik, Choreografie und Werktreue“, befand „Presse“-Kritiker Norbert Mayer). Simon Stone inszeniert seine eigene Überschreibung von Gorkis „Die Letzten“ (Februar 2020), Puppenmeister Nikolaus Habjan bringt Franzobels Dramatisierung des psychologischen Horrorromans „Der Leichenverbrenner“ (März 2020). Ansonsten kommen hier noch unbekannte Regisseure aus 13 Nationen an die Burg: Anne Lenk inszeniert Sally Potters eskalierendes Kammerstück „The Party“ (mit Simonischek, Lyssewski, Fritsch u. a.); der Isländer Thorleifur Örn Arnarsson, ab Herbst Schauspieldirektor der Berliner Volksbühne, die Mythensammlung „Edda“ und Ibsens „Peer Gynt“; das estnische Duo Ene-Liis Semper & Tiit Ojasoo (bisher: NO99) Bulgakows „Meister und Margarita“.

Vier Mitbringsel aus München

Und Kušej selbst? Er inszeniert Kleists „Herrmannsschlacht“ und verspricht Werktreue: „Ich glaube nicht, dass ich besser schreiben kann als Kleist“. Aus München bringt er – ohne Extrahonorar zu verlangen – vier Produktionen mit: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, „Faust“, „Don Karlos“ und „Der nackte Wahnsinn“. Langfristig will er zwei Premieren pro Spielzeit selbst inszenieren.

Neu im Ensemble

Aus München bringt Kušej auch 14 Schauspieler mit, etwa Bibiana Beglau. Insgesamt gibt es 30 Neu- oder Wiederzugänge am Burgtheater: Birgit Minichmayr und Tobias Moretti, Florian Teichtmeister kommt von der Josefstadt, Rainer Galke vom Volkstheater. Auch international hat Kušej gesammelt: Wo immer ihm gute Schauspieler aufgefallen sind, habe er sie „animiert, gefälligst Deutsch zu lernen und nach Wien zu kommen“. Dem Publikum „großartige“ Schauspieler zu bieten sei ihm wichtiger als akzentfreies Deutsch. Dem Ruf folgten Profis aus Island, Ungarn – und eben Israel: Der genannte Itay Tiran ist der vielleicht gefeiertste Schauspieler seines Landes. Die Hälfte der „Neuen“ ist unter 40 Jahre alt, insgesamt 71 Mitglieder (statt bisher 63) fasst das neue Ensemble. Die Burg verlassen u. a. Joachim Meyerhoff (laut Kušej auf eigenen Wunsch), Petra Morzé, Aenne Schwarz und Fabian Krüger. Andere – etwa Peter Matić – gehen in Pension, dürfen aber als Gast wiederkehren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2019)

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