Mit einem Gesetzespaket regelt die Große Koalition in Deutschland die Asyl- und Zuwanderungspolitik neu. Einiges davon ist umstritten - ebenso wie ein Videomitschnitt von Innenminister Seehofer.
Berlin. Die Grünen machen CDU/CSU Platz eins streitig, die Große Koalition steht in den Umfragen ohne Mehrheit da – und die SPD ohne gewählte Parteiführung. CDU-Schwergewicht Friedrich Merz gibt der Regierung noch eine Lebensdauer bis Weihnachten. Es ist also einiges in Bewegung, ja ins Wanken geraten. Aber noch arbeitet die deutsche Große Koalition.
Und so verkündet Innenminister Horst Seehofer (CSU) Freitagfrüh im Bundestag eine „Zäsur in der Migrationspolitik“. Gemeint ist ein Bündel aus sieben Gesetzen, das härtere Abschieberegeln vorsieht, aber auch neue Bleibeperspektiven schafft und die Zuwanderung von Fachkräften erleichtert. In keinem anderen europäischen Land gebe es ein solches Regelwerk, meint Seehofer.
Doch noch bevor der Innenminister dieses Migrationspaket pries, schwappte eine Empörungswelle durch das Internet. Ein Videomitschnitt von Seehofer verbreitete sich rasant. Er zeigt den Minister auf einer Veranstaltung in Berlin, wo er mit spitzbübischem Lächeln erklärt, man müsse Gesetze „kompliziert“ machen, denn das „erregt nicht so“. So schütze man sich davor, dass Notwendiges „unzulässig in Frage“ gestellt werde.
Seehofer meinte das „leicht ironisch“, versicherte er der „Süddeutschen Zeitung“. Den Shitstorm bremste das nicht. Unter der Kuppel des Bundestags verlief die Debatte ebenso hitzig. Auch wegen des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes, das die Linkspartei einen „Katalog der Grausamkeiten“ nennt.
Ausreisepflichtige im Gefängnis
Ausreisepflichtige sollen künftig leichter in Gewahrsam genommen und vorübergehend auch in Justizanstalten gesteckt werden können – wenn auch räumlich getrennt von Straftätern. Abschiebetermine will man nicht mehr nennen. Hintergrund: In Deutschland scheiterte 2018 ein Großteil der Abschiebungen. Alleinstehende Erwachsene sollen zudem länger, bis zu 18 Monate, in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, bevor sie auf Gemeinden verteilt werden. Außer diesen neuen Härten schafft die Regierung auch eine „Beschäftigungsduldung“, wie es sie in Österreich nicht gibt. Wer einen festen Job hat, seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet und Deutsch spricht, soll bleiben dürfen. Um eine Sogwirkung zu verhindern, gilt das Gesetz rückwirkend für jene, die vor dem 1. August 2018 einreisten.
Und Europas größte Volkswirtschaft gibt sich im Kampf gegen Personalmangel ein Fachkräftezuwanderungsgesetz. Für qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten wird der Zuzug über Mangelberufe hinaus erleichtert.Der Arbeitgeber muss künftig auch nicht mehr nachweisen, dass er für den Job keinen EU-Bürger gefunden hat.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2019)