Wenn die Ampel weiß, was Fußgeher wollen

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Symbolbild. (c) Imago
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Grünes Licht gibt die Stadt Wien für „denkende Ampeln“, mit denen die Schulwegsicherheit erhöht werden soll. Die Ampeln erkennen Kinder, die die Fahrbahn queren wollen – und schalten für Autos auf Rot.

„Wir sind gerade in der Testphase und wollen dann mehrere dieser Ampeln an neuralgischen Punkten im Stadtgebiet installieren“, kündigt Harald Bekehrti, Leiter der für Verkehrssignalanlagen zuständigen Wiener Magistratsabteilung 33, an. Insbesondere sollen Bereiche vor Schulen im Laufe des kommenden Unterrichtsjahres damit ausgestattet werden, um Druckknopfampeln abzulösen und zu mehr Sicherheit für die Kinder beizutragen. Erfahrungsgemäß sind es nämlich vor allem junge Menschen, die bei Druckknopfampeln ungern warten, bis für sie das Grünlicht kommt, und die daher oft bei Rot über die Straße laufen.

Die „denkenden Ampeln“ erkennen schon, ob ein Fußgeher die Straßenseite wechseln will, wenn dieser noch rund sechs Meter entfernt ist. „Sie leiten den Umschaltprozess daher etwa vier Sekunden früher ein“, erklärt Horst Possegger von der Technischen Universität Graz. Sein Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen war für die Entwicklung des Systems verantwortlich. Wie die Ampel das macht? „In etwa vier Metern Höhe ist eine Kamera installiert, die den sich nähernden Fußgeher in rund acht Metern Entfernung erfasst“, sagt der Wissenschaftler. „Der Algorithmus der Software berechnet aufgrund der Bewegungsrichtung des Fußgehers auf den nächsten beiden Metern, also innerhalb von ein bis zwei Sekunden, den vermutlichen weiteren Wegverlauf und leitet diese Daten an die Ampelschaltung weiter.“ Erreicht der Passant die Ampel, kommt dann gleich das Grün.

Regenwetter fordert heraus

Wesentlich ist, dass die eingesetzte Software „intelligent“ ist. „Sie lernt und verbessert sich, je mehr Fußgeher sie beobachtet“, so Possegger. „Wenn ich mich ähnlich bewege wie 90 Prozent der Querenden, schaltet die Ampel für mich auf Grün.“ Problemfälle aus der Testphase an einer Kreuzung im zehnten Bezirk waren unter anderem eine Baustelle im Querungsbereich, die Fußgeher zu Umwegen zwang. Aber auch da stellte sich die Ampel darauf ein und „wusste“ nach einiger Zeit, wie sich Querungswillige nunmehr verhalten. Bei heftigem Regen warteten die Fußgeher in einigen Metern Entfernung unter einem Baum auf das Umschalten der Ampel. Aber auch in diesem Fall lernte die Software, dass das Stehen an einem bestimmten Koordinatenpunkt einen Querungswunsch signalisiert. Herausforderungen waren darüber hinaus das Erkennen von Menschen mit Regenschirmen oder Kinderwagen, schildert Possegger.

Was nicht nur die Forscher, sondern auch die Autofahrer freuen wird: Die Zahl der „Fehlalarme“ lässt sich reduzieren. Wenn „Spaßvögel“ aus Jux Grünlicht anfordern und dann weitergehen, schalten Druckknopfampeln dem Befehl gehorchend um, und die Autos müssen warten, selbst wenn niemand über die Straße geht. Die „denkenden Ampeln“ hingegen erkennen, wenn sich jemand zwar nähert, dann aber weitergeht, und leiten keine Umschaltphase ein. „Genauigkeit und Effizienz“ seien die wesentlichen Anforderungen an die Software, sagt Possegger. Die erfassten Bilder werden übrigens nicht weitergegeben, sondern lokal analysiert, eine Systemüberwachung schützt vor Ausfällen.

Derzeit stehen die Entwickler in Kontakt mit dem Elektrotechnikunternehmen Günther Pichler GmBH aus Prinzersdorf (NÖ), dessen Experten die Ampeln bauen, damit diese wie geplant rechtzeitig vor den Schulen stehen.

IN ZAHLEN

200 Druckknopfampeln gibt es in etwa Wien-weit. Einige von ihnen werden bald durch „denkende Ampeln“ ersetzt. Diese sollen im ausgereiften Zustand bei 200 Passanten höchstens einmal falsch reagieren.


5000 Euro kostet eine intelligente Ampel – nicht mehr als eine Druckknopfampel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2019)

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