Dominic Thiem: An der Tür zum Tennis-Olymp angeklopft

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Dominic Thiem war seinem ersten Grand-Slam-Titel so nahe wie noch nie. In Paris wird es auch eine Zeit nach Rafael Nadal geben, Titelgarantie ist das allein aber keine.

Zum dritten Mal in Folge und zum vierten Mal insgesamt stellte Rafael Nadal für Dominic Thiem bei den French Open eine unüberwindbare Hürde dar. Nach glatten Dreisatzniederlagen 2014 (2. Runde), 2017 (Halbfinale) und 2018 (Finale) nahm der Niederösterreicher dem nun zwölffachen Paris-Champion beim 3:6, 7:5, 1:6, 1:6 heuer zwar erstmals einen Satz ab, mehr als ein Rütteln am Thron des Spaniers war es aber nicht. Ohne Nadal, diese Prophezeiung ist keineswegs gewagt, wäre Thiem mittlerweile wohl schon am Ziel seiner Träume angekommen. Wie lange der 33-jährige Mallorquiner noch seine Spuren durch den Pariser Sand zieht, wann es hier, in Frankreichs Hauptstadt, zu einer Wachablöse kommt, scheint gegenwärtig völlig offen.

Thiem war am vergangenen Sonntag seinem ersten Grand-Slam-Titel jedenfalls näher gekommen als im Vorjahr. Nicht nur, was das Ergebnis betrifft, nein, auch gedanklich. Er hat mentale Fortschritte gemacht. „Es war eine komplett andere Situation als 2018. Ich habe wirklich daran geglaubt, gewinnen zu können, das war vor zwölf Monaten nicht so“, erklärte der 25-Jährige, dem jedoch zum wiederholten Male vor Augen geführt wurde, was es braucht, um auf der größten aller Bühnen nach zwei Turnierwochen die Trophäe zu stemmen.

Die diesjährigen Umstände waren aufgrund der Wetterkapriolen und Verschiebungen in den Tagen zuvor allerdings speziell. So baute sich keine 24 Stunden nach dem Fünfsatzsieg im Halbfinale gegen den Weltranglistenersten Novak Djoković am Court Philippe-Chatrier die menschliche Mauer Nadal vor ihm auf. „Ich habe am Samstag eine der größten Legenden unseres Spiels geschlagen und musste am Sonntag gegen eine andere unglaubliche Legende, den besten Sandplatzspieler aller Zeiten, auf den Platz. Das zeigt wie schwierig es ist, einen Grand Slam zu gewinnen.“

Die Ära der Allzeitgrößen

Die Erfahrung, mehr oder weniger knapp zu scheitern, hatten vor Thiem schon viele andere hochtalentierte Spieler gemacht. Seit den French Open 2005, als Nadal erstmals in Paris triumphierte, gingen von den 57 ausgespielten Grand-Slam-Titeln bloß acht (!) nicht an einen Spieler aus dem Trio Nadal, Djoković und Roger Federer. Nur vier Spieler vermochten die Phalanx in den vergangenen vierzehn Jahren zu durchbrechen, Sternstunden erlebten Juan Martin del Potro (US Open 2009), Andy Murray (US Open 2012, Wimbledon 2013 und 2016), Stan Wawrinka (Australian Open 2014, French Open 2015, US Open 2016) und Marin Cilic (US Open 2014).

Das Tennis, sagte Thiem noch in Paris, erlebe gegenwärtig eine „spezielle Zeit“, weil mit Federer (20), Nadal (18) und Djoković (15) die drei einzigen Spieler mit 15 oder mehr Major-Titeln den Sport auch nach über eineinhalb Jahrzehnten an der Spitze immer noch prägen, phasenweise sogar dominieren. Obwohl es aus seiner Sicht als Konkurrent sogar nachvollziehbar wäre, wünscht sich Thiem kein baldiges Karriereende der großen Drei, im Gegenteil. „Ich hoffe, sie bleiben der Tour noch lange erhalten und spielen weiter so gut.“

Noch unbekannter Widerstand

Der Schützling von Nicolás Massú will weiter an den Herausforderungen wachsen. Sein Spiel, vor allem Return, Volley und Slice, hat er in den vergangenen Monaten merklich verbessert, er sagt: „Ich bin auf dem richtigen Weg.“ Dass ihn dieser früher oder später zu einem Grand-Slam-Titel führt, darüber gibt es in Expertenkreisen kaum Zweifel, auch Nadal sieht in Thiem einen zukünftigen French-Open-Champion.

Garantie gebe es dafür freilich keine, das braucht dem 13-fachen Turniersieger niemand zu erklären. „Ich werde mich nicht darauf verlassen, dass ich als 25-Jähriger noch Zeit habe“, versicherte Thiem, der zwar aktuell die Pole Position um die Nadal-Nachfolge in Paris innehat, aber mit aufsteigenden Akteuren wie dem 20-jährigen Griechen Stefanos Tsitsipas in Zukunft gewiss zu kämpfen haben wird. „Und es werden Spieler auftauchen, die wir jetzt noch gar nicht kennen.“

("Die Presse", Printausgabe 11.6.2019)

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