Russland: Medienaufschrei nach Festnahme eines Journalisten

Iwan Golunow gibt an, er sei nach seiner Festnahme misshandelt worden.
Iwan Golunow gibt an, er sei nach seiner Festnahme misshandelt worden. (c) imago images / ITAR-TASS (Vladimir Gerdo)
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Iwan Golunow wird illegaler Drogenbesitz vorgeworfen. Doch in liberalen Kreisen hält man das für einen schlecht getarnten Vorwand für seine Verhaftung. Auch der Kreml hat Fragen an die Ermittler.

Moskau/Wien. „Wir sind Iwan Golunow“: Diese Worte standen in großen Lettern auf den Montags-Titelseiten der drei renommierten russischen Tageszeitungen „Kommersant“, „RBK“ und „Wedomosti“. Es war ein ungewöhnlich starkes Zeichen des Protests gegen die Festnahme des Reporters Iwan Golunow, die unter zweifelhaften Umständen erfolgte.

Golunow, der für das liberale Internetportal Medusa als Investigativjournalist tätig ist, wurde am vergangenen Donnerstag im Zentrum Moskaus verhaftet. Er war auf dem Weg zu einem beruflichen Treffen. Die Polizei will in seinem Rucksack Drogen gefunden haben: mehrere Päckchen mit dem Amphetamin Mephedron und Kokain. Später wurde seine Wohnung durchsucht. Auf den gegen Golunow geäußerten Verdacht von Besitz und Handel von Drogen in großem Ausmaß stehen bis zu 20 Jahre Haft. Ein Gericht verhängte am Samstag einen zweimonatigen Hausarrest über ihn.

Der 36-jährige Journalist bestreitet die Vorwürfe. Man habe ihm die Päckchen bei der Festnahme untergeschoben. Im Gerichtssaal rannten ihm Tränen über das Gesicht, er wirkte verzweifelt. „Nie hätte ich gedacht, dass ich bei meiner eigenen Beerdigung anwesend sein werde“, sagte er. Mit Begräbnissen könnte der Fall tatsächlich zu tun haben. Golunow vermutet, dass sich jemand wegen seiner Recherchen über illegale Machenschaften zwischen russischen Beamten und Kriminellen im Bestattungsbusiness rächen will.

Wer hat den Befehl gegeben?

Auch Journalistenkollegen von anderen Medien halten das für möglich. „Wir schließen nicht aus, dass die Festnahme und der darauffolgende Arrest Golunows mit seiner beruflichen Tätigkeit in Verbindung stehen“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der drei oben genannten Zeitungsredaktionen.

Viele gehen von einem „Kompromat“ gegen Golunow aus, einer (oft geheimdienstlich) inszenierten Diskreditierung einer Person durch fiktives Material. Diskutiert wird daher vor allem auf der Meta-Ebene: Welche Interessensgruppe steckt dahinter? Und von wem kommt der Befehl? Prominente riefen öffentlich zur Freilassung Golunows auf, darunter die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja und die frühere Präsidentschaftskandidatin Ksenia Sobtschak. Mehr als 100.000 Menschen unterzeichneten eine Onlinepetition. Morgen, Mittwoch, soll es eine Demonstration in Moskau geben - es ist der russische Staatsfeiertag.

Tatsächlich sind mehrere Umstände dubios. Golunow gibt an, von den Sicherheitskräften nach seiner Festnahme misshandelt worden zu sein. Bei einer Untersuchung des Verdächtigen konnten keine Rückstände verbotener Substanzen nachgewiesen werden. Die Polizei veröffentlichte auf ihrer Webseite vermeintliche Beweisfotos von sichergestellten Drogen, die jedoch von einer anderen Hausdurchsuchung stammten. Die Kreml-kritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ sprach von einer „Provokation“ gegen den Journalisten: „Lasst uns das besser nicht Strafsache nennen.“ Golunows Arbeitgeber, das in Lettland registrierte Internetmagazin Medusa, kündigte an, es werde seine Recherchen weiterführen und veröffentlichen.

Hausarrest als „milde“ Maßnahme

Misstrauen erregt vor allem das sichergestellte Drogenpaket. Angeblicher Drogenmissbrauch und Drogenfunde werden immer wieder zur Zerstörung des Rufs oder gar „Beseitigung“ von Personen verwendet. In der Öffentlichkeit werden auf diese Art Zweifel gesät: Und wenn doch etwas dran ist? Zuletzt war im Fall des tschetschenischen Menschenrechtlers Ojub Titijew angeblicher Drogenbesitz Anlass für die strafrechtliche Verfolgung. Er wurde am Montag von einem Gericht auf Bewährung vorzeitig entlassen. Titijews Aktivismus war der tschetschenischen Führung ein Dorn im Auge. Allerdings ist in Russland bekannt, dass in der Republik Tschetschenien andere Gesetze gelten. Umso mehr schockiert liberale Kreise nun, dass diese kriminelle Praxis offenbar gegen einen Journalisten mitten in Moskau angewendet wird. Wenn es Golunow trifft, könnte es auch mich treffen, denken sich viele.

In sozialen Medien wiesen Kommentatoren auf die dilettantische Ausführung der Tat hin. Eine von ganz oben abgesegnete Aktion gegen unabhängige Medien hielt man für eher unwahrscheinlich. Für diese These spricht auch die eher distanzierte Reaktion des Kreml: Es gebe in den Ermittlungen einiges zu klären, sagte Wladimir Putins Sprecher, Dmitrij Peskow. Womöglich handelt es sich um eine Vergeltungsaktion einer bestimmten Person.

Offen ist, wie der Fall weiter gehandhabt wird. Hausarrest ist eine vergleichsweise sanfte Maßnahme, die bisher vorrangig bei prominenten Verdächtigen wie dem Theaterregisseur Kirill Serebrennikow, US-Investor Michael Calvey und Ex-Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew verhängt wurde. Doch bis zum Beginn der Verhandlung könnten Monate vergehen.

Für Golunow beginnt die Zeit des langen, zermürbenden Wartens.

Zur Person

Iwan Golunow (36) ist als Investigativjournalist für das in Lettland registrierte Onlinemedium Medusa tätig, das für seine regierungskritischen Berichte bekannt ist. Es ist vor allem bei jungen Lesern und in liberalen Kreisen populär. Golunow recherchierte vor allem zu Korruptionsthemen.
Seine Unterstützer werten es als Teilerfolg, dass über ihn nur Hausarrest verhängte wurde – er also nicht weiter in Untersuchungshaft sitzen muss. Ein Protest in Moskau ist für den 12. Juni angesetzt, den russischen Staatsfeiertag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2019)

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