Wir werden dümmer. An den Migranten liegt es nicht.

Ihr Verhalten mag nicht sonderlich intelligent wirken, aber diese jungen Leute feiern gerade ihren Schulabschluss in einem Brunnen in Kiew.
Ihr Verhalten mag nicht sonderlich intelligent wirken, aber diese jungen Leute feiern gerade ihren Schulabschluss in einem Brunnen in Kiew.(c) REUTERS (VALENTYN OGIRENKO)
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Über viele Jahrzehnte stieg weltweit der mittlere IQ. Aber in jüngster Zeit stagnieren oder verschlechtern sich in vielen entwickelten Ländern die Testergebnisse. Eine Studie der Uni Wien zeigt: Mit Zuwanderung hat das Phänomen nichts zu tun.

„Deutschland schafft sich ab“, verhieß Thilo Sarrazin 2010. Die skandalträchtige These des Bestsellerautors: Migranten aus islamischen Ländern seien weniger intelligent. Die starke Zuwanderung drücke den mittleren IQ, umso mehr, als sich diese Leute eifriger fortpflanzen als Bio-Deutsche. Der Aufschrei war groß, Sarrazin verlor seinen Job als Bundesbankvorstand. Experten zum Thema reagierten verhaltener. Man musste ja nicht in die Niederungen rassistischer Spekulation über mindere Gene hinabsteigen, um dem Provokateur partiell recht zu geben: Bei der Intelligenz ist ein gewisser Anteil – zwischen 30 und 90 Prozent, je nach Studie – durch Umwelteinflüsse bedingt. Dass die Qualität der Ausbildung in Anatolien oder Afghanistan schlechter ist als in Mitteleuropa, erklärt tatsächlich vorhandene Unterschiede im IQ-Schnitt, ebenso wie schwächere Pisa-Ergebnisse in Staaten mit starker Zuwanderung aus weniger entwickelten Ländern. Aber groß konnten die Einflüsse nicht sein. Denn das Niveau der Migranten passte sich offenbar rasch an, wie eine niederländische Studie von 2004 gezeigt hatte.

Vor allem aber: Der mittlere IQ stieg seit Jahrzehnten, in den reichen Industriestaaten wie auch weltweit – der berühmte „Flynn-Effekt“, benannt nach dem australischen Forscher James Flynn, der ihn 1987 entdeckt hat. Für diese erfreuliche Entwicklung hat man viele gute Gründe gefunden: gesündere Ernährung, weniger Krankheitserreger, geistig anregendere Jobs und, einmal mehr, die bessere Ausbildung. Aber nun häufen sich Anzeichen, dass dieser Effekt in vielen westlichen Ländern – auch Österreich – abflacht, stagniert, ja sich sogar umkehrt. Wir werden nicht mehr schlauer, sondern dümmer. Das Phänomen ist neu, noch hat die Wissenschaft dafür keine breit akzeptierte Erklärung gefunden. Und plötzlich erscheinen Sarrazins krude Thesen wieder aktuell.

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