Madonna als Erlöserin in „Madame X“: Kitsch mit heiligem Ernst

Den Cowgirl-Hut von „Music“ (2000) hat sie noch: Motiv aus Madonnas neuem PR-Material.
Den Cowgirl-Hut von „Music“ (2000) hat sie noch: Motiv aus Madonnas neuem PR-Material.(c) Universal
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Madonna erklärt sich auf ihrem 14. Album zur allumfassenden Person, die das Leid der Welt auf sich nimmt. Ganz unironisch.

Als 1985 „We Are The World“, das typischste Lied der schrecklichen Achtzigerjahre – es gab auch nicht schreckliche! – aufgenommen wurde, war Madonna nicht dabei. Sie war zu cool damals. Zu cool für diese von Kinderkönig Michael Jackson (zweite Zeile: „We are the children“) getextete Anmaßung, mit der Pop, getarnt als Mittel für einen guten Zweck, seine Arme krakengleich ausbreitete, um die ganze Welt zu umschlingen. Globalisierung mit Glukosesirup.

Madonna war nicht dabei. Sie hatte 1985 sechs makellose Hits, cool und heiß zugleich, darunter „Material Girl“, in dem sie ihre Mission klarstellte: „We are living in a material world, and I am a material girl.“

Das ist 34 Jahre her, Madonna ist 60. Ihre Jahrgangskollegen Michael Jackson und Prince leben nicht mehr, eine Menge junger Oligarchinnen herrscht im Pop, von Miley Cyrus bis Rihanna, derzeit ist Beyonce die Hegemonin (Hegemona?). Letztes Jahr stellte sie ein Video ins Netz, in dem sie und ihr Mann Jay-Z im Louvre vor Gemälden, darunter die Mona Lisa und „Die Krönung Napoleons“, posierten. Madonna antwortete auf Instagram mit einem manipulierten Bild, das Beyonce und Jay-Z vor einer Galerie von Madonna-Alben zeigte, dazu schrieb sie „Learning from the master“ . . .

Geheimagentin mit Schreibmaschine

Kein Zweifel, die Meisterin fühlt sich unter Druck. Schon im ersten Teaser der auf rührend altmodische Weise durchgeplanten Kampagne zu ihrem 14. Album „Madame X“ erneuerte sie ihren Machtanspruch, indem sie sich zur allumfassenden Person erklärte: „Madame X is a secret agent, changing identities“, erklärte sie und zählte auf: „She is a cha cha cha instructor, a professor, a head of state, a housekeeper, an equestrian, a prisoner, a student, a teacher, a nun, a cabaret singer, a prostitute.“

Im Booklet des Albums – in dem Madonna in so gut wie jedem Kostüm posiert, in dem sie im Lauf ihrer Karriere posiert hat, mit Zöpfen, mit Cowgirl-Hut, mit Zigarillo, sogar mit Saxofon – findet sich diese Aufzählung wieder, eine Hand in Leder tippt sie auf einer Schreibmaschine: Diese Madame verfügt über Werkzeuge, die die Jungen gar nicht mehr kennen!

Doch vor allem findet sich im Song „Killers Who Are Partying“ eine Variation des Themas: „I will be gay, if the gay are burned“, singt sie zu flirrenden Geigen, sirrender Gitarre und klimperndem Klavier, „I'll be Africa, if Africa is shut down.“ Desgleichen sei sie arm (nämlich wenn die Armen erniedrigt werden), ein Kind (wenn die Kinder ausgebeutet werden), der Islam (wenn der Islam gehasst wird), Israel (wenn es eingekerkert ist), eine Indianerin (wenn sie erobert worden ist), eine Frau (wenn sie vergewaltigt wird und ihr Herz bricht).

Madonna als Schutzmantelmadonna, mehr noch: als Erlöserin, die das Leid der Welt in jeder Gestalt auf sich nimmt: das ist kitschig und anmaßend. (Wobei das vielleicht eine Definition von Kitsch ist: durchschaubare Anmaßung von Gefühlen.) Das ist schlimmer als „We Are the World“, vielleicht sogar schlimmer als Michael Jacksons „Heal the World“.

Wäre es mit Selbstironie gewürzt erträglicher? Das ist fraglich, aber Madonna scheint ohnehin keine Selbstironie zu kennen. Sie trägt ihre Selbsterkundungen mit dem gleichen heiligen Ernst vor wie ihre Binsenweisheiten, oft gleich beide gemeinsam. „I came from the Midwest, then I went to the Far East, I tried to discover my own identity“, singt sie, wieder zu Flirren, Sirren und Klimpern, in „Extreme Occident“ und resümiert: „Life is a circle.“ Zu etwas spannenderer Instrumentierung erklärt sie in „I Don't Search, I Find“ mit belegter Stimme: „We live between life and death, waiting to move on, and in the end we accept it.“ Und in „Future“ raunt sie zu zickigen Reggae-Beats: „Not everyone is coming to the future, not everyone is learning from the past.“

Nun werden manche einwenden, dass es im Pop doch egal sei, was da gesungen wird. Erstens stimmt das nicht, zweitens entspricht das esoterische Schwummern der Texte genau dem musikalischen Mischmasch, den Madonna aus all ihren Kolonien zusammenträgt. Hier spanische Kastagnetten, dort eine indische Tabla. Frisch gepflückte Trap-Beats aus dem globalen Suburbia. Rapper. Orchester. Kinderchöre. Her damit! Was kostet die Welt?

„Democracy, god and pornography“

Wenn Madonna diesen ästhetischen Imperialismus mit dem Gestus des frech geständigen „material girl“ ausüben würde, wäre das vielleicht erfrischend. Allerdings würde es dann weniger betulich klingen.

Und weniger pseudoreligiös. Die katholisch erzogene Madonna Louise Ciccone pflegt ja nach anfänglichen koketten Ketzereien („Like A Prayer“, „Like A Virgin“ etc.) spätestens seit „Ray of Light“ (1998) einen spirituellen Synkretismus, der ähnlich luxustouristisch anmutet wie ihre Art von Weltmusikpop. Sie hat Yoga geübt, Kabbala und Koran studiert, Sanskrit gelernt, auf und mit Kreuzen posiert. Mit Kerzen sowieso. Diesmal verbrämt sie eine ziemlich triviale politische Predigt („Our nation lied, we lost respect“) mit einer salbungsvollen Ansage des Chores: „We lost God control!“ Dann meldet sich ein beschwingt hüpfender „wake-up call“ und verkündet „a new democracy, god and pornography“, bevor das Autotune völlig ausflippt und Madonna feierlich beteuert, dass sie kein Dope rauche: „People think that I'm insane, the only gun is in my brain.“

Nicht nur an dieser Stelle regt sich im Hörer ein Gefühl, das so gar nicht zu einer Monarchin des Pop passen will: Mitleid. Mit ihr, nicht mit der Welt.

Madonna: Madame X
Madonna: Madame X(c) Universal

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2019)

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