Lionel Messis ungestillte Sehnsucht

Noch lächelt Lionel Messi, wenn er wie hier im Training für Argentinien auf dem Platz steht. Bei den Fans nährte das die Hoffnung auf den ersten Titel seit 1993.
Noch lächelt Lionel Messi, wenn er wie hier im Training für Argentinien auf dem Platz steht. Bei den Fans nährte das die Hoffnung auf den ersten Titel seit 1993.(c) APA/AFP/GUSTAVO ORTIZ (GUSTAVO ORTIZ)
  • Drucken

Bei der Copa América möchte sich Argentiniens Superstar endlich den Traum von einem Titel mit dem Nationalteam erfüllen. Doch genügen neuer Teamchef und verjüngter Kader dafür?

Salvador/Wien. Lionel Messi und das argentinische Nationalteam, das ist bislang keine Erfolgsgeschichte. Die Qualitäten des fünfmaligen Weltfußballers sind unbestritten, im Barcelona-Trikot verzaubert er regelmäßig Fans weltweit. 34 Titel hat er auf Klubebene gefeiert, mit Argentinien aber wartet er noch auf einen solchen Moment – immer noch. „Ich muss aufstehen und es versuchen, egal, wie oft ich dabei falle. Das ist eine wichtige Botschaft an Kinder, nicht nur im Fußball, sondern für das ganze Leben. Ich möchte meine Karriere beenden und etwas mit Argentinien gewonnen haben“, sagte Messi.

Die heute beginnende Copa América in Brasilien ist der nächste Versuch des argentinischen Superstars, seine Vita mit dem Nationalteam zu schmücken. In dieser finden sich bislang lediglich der U20-WM-Titel und Olympiagold 2008. Zu wenig für den gemeinsam mit Cristiano Ronaldo dominierenden Spieler des Jahrzehnts und zu wenig für ein fußballverrücktes Land wie Argentinien. Seit 1993 ist die Albiceleste schon ohne Titel, ging sie in vier Copa- (2004, 2007, 2015, 2016) und einem WM-Finale (2014) als Verlierer vom Platz. In vier dieser fünf Endspiele wirkte Messi mit – und blieb jeweils unscheinbar und ohne Torerfolg.

Seinem Standing in der Heimat half das nicht, denn in Argentinien hat ohnehin jeder eine Meinung zu Messi: zu schüchtern, zu arrogant, zu farblos, zu selbstverliebt, heißt es, seit er mit 17 Jahren die große Fußballbühne erobert hat. Ebenso lang begleiten ihn Vergleiche mit Diego Maradona.

Neue Lockerheit

Dabei hat sich „La Pulga“, der Floh, gewandelt, nicht nur äußerlich – vom Milchbubi mit Mähne zum tätowierten Hipster-Bart-Träger –, auch persönlich. Früher habe er sich nach Niederlagen eingesperrt, nichts mehr gegessen, das sei als dreifacher Vater anders, verriet der 31-Jährige: „Niederlagen tun weh, aber es hilft, meine Frau und Kinder zu sehen. Ich leider immer noch, aber auf andere Art und Weise.“ Es ist diese neue Lockerheit in Messis Auftreten, die argentinische Fans hoffen lässt. So erzählte er offen wie selten, wie ihn die Söhne beim Fußballspielen aufziehen, oder postete ein Foto seines schlafenden Zimmerkollegen Sergio Agüero. Vielleicht liegt das auch an den geänderten Vorzeichen, denn diesmal reiste er – trotz 51 Pflichtspieltoren – nicht nach einer Traumsaison mit Barcelona an, vielmehr wurde das bereits sicher geglaubte Champions-League-Finale gegen Liverpool verspielt, der Cup gegen Valencia verloren.

Bei Argentinien musste nach dem enttäuschenden WM-Auftritt in Russland (ein Sieg, Achtelfinal-Aus gegen Frankreich) Jorge Sampaoli als siebenter Teamchef in den vergangenen zehn Jahren gehen. Sein bisheriger Assistent Lionel Scaloni wurde mit dem Neuanfang betraut – ob mit Messi, war lange nicht klar. Schließlich hatte dieser schon einmal, nach dem verlorenen Copa-Finale 2016, seinen Rücktritt erklärt (und wieder revidiert). Doch der Neo-Teamchef gestattete seinem Rekordschützen (67 Tore in 130 Spielen) lediglich, sich im Herbst auf den Klub zu konzentrieren. „Ich sehe eine verschworene Gruppe, Spieler, die es wirklich genießen, hier zu sein“, erklärte Messi nach dem Comeback im Frühjahr. „Ich bin nur ein weiterer Spieler, nichts ist seltsam.“

Mit Sergio Agüero und Ángel Di María kehrten für die Copa América zwei weitere arrivierte Spieler ins Team zurück. Das Aufgebot verfügt zwar über hoffnungsvolle Profis wie Giovani Lo Celso (23, Betis), Lautaro Martínez (21, Inter) oder Leandro Paredes (24, PSG), jedoch kaum über Erfahrung: Abgesehen von Messi, Agüero und Di María haben nur zwei Spieler mehr als 20 Länderspiele absolviert. Ob ausgerechnet der unerfahrene Trainer Scaloni, einst kompromissloser Verteidiger, das richtige System gefunden hat, um Messi zum Glänzen zu bringen, wird sich im Auftaktspiel gegen Kolumbien in der Nacht auf Sonntag (null Uhr MESZ, live Dazn) zeigen.

„Wir verfügen über die gleiche Freude und Leidenschaft, aber das Team ist gerade im Umbruch. Wir sind nicht die Favoriten wie in der Vergangenheit, aber wir werden versuchen zu gewinnen“, sagte Messi vor dem nächsten Anlauf, vielleicht seinem letzten – in zehn Tagen wird er 32 Jahre alt. Titelanwärter Nummer eins ist Gastgeber Brasilien, das ohne den verletzten Neymar das Turnier gegen Bolivien (Samstag, 2.30 Uhr) eröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.