Agostini: Tanti auguri, Ago!

(C) Klemens Kubala
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Im Jubeln hat er Routine: Giacomo Agostini, frische 77.

(C) Beigestellt

»Dass er es zum Pensionisten schaffte, zählt zu Agos grossen Erfolgen.«

Der Legende nach schaltete die Ampel bei einem Rennstart in Italien immer erst auf Grün, wenn er schon losgefahren war. Ob Giacomo Agostini ein solcher italienischer Championbonus wirklich zugutekam, lässt sich nicht ganz ausschließen in einem Land, in dem der Pfarrer die Kirchenglocken läutet, wenn Ferrari gewonnen hat (übrigens schon länger verdächtig ruhig im Glockenturm!).

Mit großer Sicherheit kann man aber sagen, dass „Ago“, wie er genannt wird, einer solchen Hilfestellung nie bedurft hat. Er war der überragende Mann seiner Tage auf zwei Rädern, und dass er während seiner Karriere meist auf den richtigen Bikes saß, gehört halt auch dazu. Seine aktiven Tage im Rennleder erstreckten sich von 1964 bis 1977 und brachten 122 Rennsiege und 15  WM-Titel in zwei Klassen hervor, womit Ago an der Spitze der ewigen Bestenliste steht. Gut möglich, dass ihn von dort niemand mehr verdrängen wird: Der Zweitplatzierte, Landsmann Valentino Rossi, kommt auf 115  Siege, ist auch schon über 20  Jahre dabei und sieht gerade kein Land gegen seine Konkurrenten.
Inte­ressante Wachablöse: In dem Jahr, als Agostini das letzte Mal antrat, 1977, startete erstmals ein gewisser Graziano Rossi in der WM – Valentinos Vater.

(C) Klemens Kubala

Einen Papa, der ihn gefördert hätte, hatte Giacomo nicht, aber verhindern konnte es sein alter Herr auch nicht. Wir haben es mit einem natural born racer zu tun, der am 16. Juni 1942 in Brescia auf die Welt kam. Davon hat sich der nun 77-Jährige einiges bewahrt: Regelmäßig zieht er sich bei Klassik-Events den Overall über und gitzt seine Rennmaschine auf Betriebstemperatur. Dass er so alt wurde, zählt ohnehin zu den besonderen Erfolgen in seinem Leben. Zu viele Gefährten und Konkurrenten hatten das ihre gelassen auf Rennstrecken, die noch mit Strohballen statt Sturzräumen vorgaben, gesichert zu sein.

Agostini war furchtlos, aber kein blinder Draufgänger. Nach dem Tod eines Freundes auf der berüchtigten Tourist Trophy auf der Isle of Man, Anfang der Siebziger noch Teil des WM-Rennkalenders, bestreikte er den Bewerb. Im Renntempo durch Ortschaften, vorbei an Mauern, Randsteinen, den Füßen der Zuschauer – „man kann dort einfach keine Rennen fahren!“ Die TT wurde wenige Jahre später aus dem Programm genommen; jene, die seither auf der Insel starben, waren wenigstens nicht quasi pflichtgemäß im Rahmen der WM-Wertung angetreten.
Nicht übrigens, dass man Agostini den Einsatz für mehr Sicherheit gedankt hätte. Die Rennfahrerei der Zeit, ob auf zwei oder vier Rädern, glich in manchen Aspekten einem Opferkult, demgemäß es dann und wann halt einen erwischen musste. Statt Respekt zu ernten, schlug Ago der Zorn vieler Fans entgegen.

(C) Klemens Kubala

Doch vom Leben hielt – hält – Giacomo Agostini eine Menge. Obwohl er sich mitten in den Sixties nach vorn kämpfte, zunächst bei den Viertellitern auf Moto Morini, war er durch und durch ein Typ der Siebziger – gut aussehend, athletisch, ganz der gut gelaunte Italo-Sunnyboy. Ein James Hunt des Zweiradfachs, bloß mit mehr Ehrgeiz und Disziplin. Und mit der größten Hingabe an seine Hausmarke und ihre schnellen Geräte – die Meccanica Verghera des Grafen Agusta. Ursprünglich in der Flugzeugproduktion, etablierte sich 1945 ein Zweig als Motorradhersteller, und spätestens in den 1960ern waren die feuerroten Drei- und Vierzylinder im Rennsport und auf der Straße das Maß der Dinge. Dass man bei MV Agusta bald auf den Jungen aufmerksam wurde, lag am scharfen Auge des Conte Agusta, der in zweiter Generation Marke und Rennstall ganz nach vorne brachte. Für seine Maschinen wollte er nur die Allerbesten.

Prägnant an Giacomos Fahrstil war zunächst die Fähigkeit, seinen Körper so zusammenzufalten und zu verstauen, dass er wie ein Teil der Maschine wirkte, wie ein aero­dynamisches Element, das sich in den Fahrtwind schmiegt. In der Zeit von Motorradreifen mit noch arg beschränkten Seitenführungskräften pflegte man vergleichsweise aufrechtes Fahren, nicht den „Hanging off“-Stil, wie ihn Kenny Roberts in den Motorradsport brachte und wie er in extremster Ausführung heute, Ellbogen am Asphalt, die MotoGP zum Actionspektakel macht.
Der Thrill der früheren Jahre, das waren die 500er-Vierzylinder von MV Agusta, delikat ohrenbetäubend in ihrem Brüllen, das mit bis zu 130 Phon gemessen wurde. Als es per Reglement leiser werden musste, schlug die Stunde der Zweitakter. 1974 zog sich Ago mit seinem Wechsel zu Yamaha ein zweites Mal den Unmut der italienischen Fans zu. Den ersten Weltmeistertitel eines Zweitakters rundete er prompt noch versöhnlich ab – nach seiner Rückkehr zu MV mit dem letzten Sieg einer Viertaktmaschine der damaligen Epoche. Dann ließ er’s sein.
Heute ist Agostini das glänzende Beispiel, wie jung Biken hält, wenn man’s in einem Stück übersteht.

(C) Klemens Kubala

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