Soziale Mobilität

Der Aufstieg wird immer schwieriger

Marin Goleminov
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Wer oben ist, bleibt oben. Wer unten ist, kommt kaum mehr hinauf. Die in der Mitte könnten den Abstieg fürchten. Wenn sie nicht vier Joker hätten.

Es war nur ein kurzes Gespräch. Die junge Frau, zweite Hälfte Zwanzig, hatte sich defätistisch mit ihrem Schicksal abgefunden. Ihre Eltern hatten es zu einem Häuschen im Grünen, zwei Autos und jährlich einer großen Reise gebracht. Sie selbst hauste trotz Uni-Abschluss noch in der WG und hantelte sich von Praktikum zu Praktikum. Ohne Aussicht auf festen Job, eigene Wohnung, Familienplanung. Sie werde den Standard der Eltern nicht halten können, sagt sie. Sie werde absteigen.

Soziale Mobilität meint eigentlich, dass sich Kinder aus ärmeren Familien hocharbeiten können: Der Arbeitersohn wird Arzt. Immer öfter heißt es aber, dass Kinder aus bessergestellten Familien die Leiter hinunterfallen: Die Anwaltstochter arbeitet dann prekär.

Michael Förster, bei der OECD Chefanalyst für Einkommen und Verteilungsfragen, präzisiert. Dort, wo man hineingeboren wurde, dort bleibe man, oben wie unten.

„Klebriges“ Oben und Unten

Förster nennt das „sticky ceilings“ und „sticky floors“. Die Übersetzung, klebrige Böden und klebrige Decken, hört er nicht so gern. Fakt ist: Wer wenigstens einen Elternteil mit akademischem Hintergrund hat, wird mit zwei Dritteln Wahrscheinlichkeit selbst Akademiker (alle anderen nur mit zwölf Prozent). Kinder von Führungskräften werden mit knapp 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit selbst Führungskräfte (von den anderen nur knapp ein Viertel). Wer oben geboren wurde, bleibt oben.

Wer unten geboren wurde, plagt sich. Der Aufstieg von der untersten in die Mittelschicht braucht im OECD-Schnitt vier bis fünf Generationen. In Skandinavien sind es zwei bis drei, in Österreich fünf, in Südamerika neun bis elf Generationen.

Für die Mittelschicht – Förster nennt sie „squeezed“, gequetscht – sieht es anders aus. Nominell schrumpft sie wenig (von 63 auf 61 Prozent), aber sie altert rapide: Seit den Babyboomern sinkt für jede neue Generation die Wahrscheinlichkeit, selbst der Mittelschicht anzugehören.

Bedrängte Mitte

Die junge Frau hat also recht. Mittelschichtkinder könnten leicht die soziale Leiter hinunterfallen. Was lässt sich mit dieser Erkenntnis anfangen? Zuerst müssen wir die vier Dimensionen sozialer Mobilität – Bildung, Beruf, Einkommen und Schicht – sauber trennen. Sie korrelieren, natürlich, aber anders als früher ist Bildung kein Garant mehr für den sozialen Aufstieg.

Die US-Amerikanerin Alyssa Schneebaum, Assistenzprofessorin im Department für Volkswirtschaft, zog daraus kürzlich bei „WU Matters. WU Talks“ durchaus provokante Schlussfolgerungen. Mehr Bildung als die Eltern zu haben dürfe nicht mehr mit einem (noch) besseren Leben gleichgesetzt werden. Die Eltern mögen reiche Bauern sein, der Literaturwissenschaftler-Sohn nagt trotzdem am Hungertuch. Warum also, fragt Schneebaum, solle höhere Bildung um jeden Preis gefördert werden? Wegen der Chancengleichheit, so der allgemeine Aufschrei. Sozialer Aufstieg ließe sich damit aber nicht garantieren.

Zum Trost für unsere junge Frau: Sie hat noch vier Joker, die sie nach Belieben ausspielen kann.

Habitus. Das eigene Selbstverständnis, wie man redet, wie man sich bewegt – wie sehr es hilft, mit den ungeschriebenen Regeln einer Schicht vertraut zu sein, wird gemeinhin unterschätzt. Es stabilisiert die langfristige Zugehörigkeit.

Niveau der Eltern. Ob reich oder nicht, ihren Zugang zu Bildung, Leistung, Aufstieg und Karriere geben Eltern ihren Sprösslingen schon im Kleinkindalter weiter. Ähnliches gilt für

Beziehungen. Sind die Eltern gut vernetzt, wird sich schon jemand finden, der dem Kind unter die Arme greift. Zuletzt bleibt die Hoffnung auf eine

Erbschaft. In Österreich ist sie sogar höchst realistisch und soll bei den oberen zehn Prozent im Schnitt 300.000 Euro betragen. Ein bequemes Auskommen ist damit auf jeden Fall garantiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2019)

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