Hongkong: Regierungschefin gerät immer mehr unter Druck

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Selbst im Peking-treuen Lager werden Rufe laut, das umstrittene Auslieferungsgesetz nicht zu verabschieden. Am Sonntag sind neue Proteste geplant.

Nach Massenprotesten gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz steht Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam auch in den eigenen Reihen massiv unter Druck. In der chinesischen Sonderverwaltungszone wurden am Freitag Forderungen auch aus Lams Peking-treuem Lager laut, die Verabschiedung des Gesetzes zurückzustellen.

Der bekannte pro-chinesische Abgeordnete Michael Tien forderte Lam auf, den Gesetzentwurf zurückzustellen. "Sie würde Punkte sammeln statt Punkte zu verlieren", sagte Tien vor Journalisten. In "neuen Situationen" könne jeder Regierungschef "seine Meinung ändern", sagte Tien.

Zuvor hatte bereits Lams Berater Bernard Chan im Radiosender RTHK erklärt, das Gesetz in einem beschleunigten Verfahren durchs Parlament zu bringen, sei mittlerweile "unmöglich". Die Regierung solle den Konflikt nicht noch weiter verschärfen. Chan forderte allerdings nicht, den Gesetzentwurf ganz zu kassieren.

Polizei genehmigte Demonstrationen

Chan gehört dem Hongkonger Exekutivrat an, dem Kabinett der chinesischen Sonderverwaltungszone. Seine und die Äußerungen Tiens deuten darauf hin, dass Hongkongs Peking-treue Regierung mittlerweile doch ein Umdenken in Erwägung zieht. Bisher hatte Lam entgegen aller Kritik an dem Gesetz festgehalten. Um die Lage zu beruhigen, hatte die Regierung lediglich die für Mittwoch geplante Parlamentsdebatte zu dem Gesetz auf unbestimmte Zeit verschoben.

"Wir vertrauen den pro-chinesischen Parlamentariern nicht", erklärte der pro-demokratische Abgeordnete Alvin Leung. "Wir brauchen eine Antwort von Carrie Lam, ob sie das Gesetz zurückzieht."

In den vergangenen Tagen sind in Hongkong Hunderttausende Menschen gegen das geplante Gesetz auf die Straße gegangen. Für Sonntag hat die Protestbewegung erneut eine Massenkundgebung angekündigt. Diese wurde von der Polizei nach mehrstündigen Gesprächen mit den Organisatoren inzwischen genehmigt.

Peking reagiert scharf auf Kritik aus den USA

Kritiker fürchten, dass bei einer Verabschiedung des Gesetzes sowohl Hongkonger Bürger als auch Ausländer vor chinesische Gerichte gezerrt werden könnten. Chinas Botschafterin in Großbritannien Liu Xiaoming wies Vermutungen zurück, die Regierung in Peking sei die treibende Kraft hinter dem Auslieferungsgesetz. Peking habe "keinen Befehl" an Hongkong erteilt. "Die Gesetzesnovelle wurde von der Hongkonger Regierung initiiert", sagte Liu der BBC.

Peking reagierte unterdessen scharf auf kritische Stimmen aus den USA. US-Abgeordnete hatten ein Gesetz zu "Menschenrechten und Demokratie in Hongkong" im Kongress vorgelegt, das angesichts der aktuellen Situation den Status Hongkongs als speziellem Handelspartner der USA überprüfen will. Chinas Außenamtssprecher Geng Suang sagte, die Parlamentarier hätten "unverantwortliche Bemerkungen über Hongkongs Angelegenheiten" gemacht und "sich gewaltsam in die chinesischen inneren Angelegenheiten eingemischt".

Am Mittwoch hatten Zehntausende Menschen Hauptverkehrsstraßen und das Regierungsviertel in Hongkong blockiert. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor. Bei den schwersten politischen Unruhen seit der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China 1997 wurden mindestens 70 Menschen verletzt. Am Donnerstag und Freitag gab es weitere kleinere Protestaktionen.

(APA/AFP)

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