Die Erfindung des Homo austriacus

Prosperitätsnationalismus. Ein Bild aus Wien.
Prosperitätsnationalismus. Ein Bild aus Wien. (c) Wolfgang Freitag
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Seit Jahren feiert das Nationale wieder fröhliche Urständ. Auch hierzulande. Nur: Gibt's die überhaupt, die österreichische Nation? Über den Kitt, der Tiroler und Kärntner, Vorarlberger und Wiener zusammenhält.

Die Österreicher hatten es 1918 nicht leicht. So wie die turksprachigen Untertanen des Osmanischen Reichs hatten sie verabsäumt, ihre Intellektuellen ein eigenes Ethnos designen zu lassen. All die magyarischen, slawischen, rumänischen, griechischen, armenischen Nationalismen waren da viel fixer. Behäbig verharrten die Deutschösterreicher also im Windschatten überkommener dynastischer Macht und verstanden die Welt nicht mehr, die mit einem Mal eine nationale zu sein schien.

Zwar gab es die Deutschnationalen mit ihrer – gemäß ihrer falschen Ideologie – folgerichtigen Einheit aller Deutschsprachigen, doch stellten sie eine – zumal lautstarke – Minderheit dar. Wie sehr das ständische, vornationale Denken vorherrschte, zeigte die Tendenz des Hochadels in Böhmen und Mähren, allen voran der Schwarzenbergs, als Schutzherren ihrer tschechischen Bauern eher den tschechischen als den deutschen Nationalismus zu unterstützen, auch aus Dünkel gegenüber den bürgerlichen Schichten, welche ihre deutschen Keile in die alte Herrschaftsordnung treiben wollten. Als die Monarchie zerfiel und all die eifrigen neuen Völker mit ihren Nationalstaaten besser dazustehen schienen als der kleine Bevölkerungsrest auf dem Schutthaufen einstiger kultureller Souveränität, holte er Hals über Kopf seine deutsche Identität nach, um zumindest ein Stübchen beim geschlagenen, aber größeren deutschen Nachbarn zu finden. Doch das untersagten die Siegermächte. Auch die Sozialdemokraten optierten für eine großdeutsche Lösung, was pragmatisch gedacht nicht unklug war, denn im industrialisierten Deutschland wäre das Wiener und steirische Proletariat nicht in der Minderheit gegenüber den bäuerlichen und kleinstädtischen Katholiken gewesen. Dass der deutschnationale Wurm den rationalen Kern der Sozialdemokratie längst angenagt hatte, bewiesen die Thesenpapiere aus den Federn Otto Bauers und Karl Renners, die der Klasse die Kultur- und Schicksalsgemeinschaft als determinierende historische Kraft hinzugesellten. Da Rosa Luxemburg bereits im Auftrag von Sozialdemokraten ermordet war, übernahm der garantiert unmarxistische Karl Kraus ihre Aufgabe und stellte 1932 der heimischen Sozialdemokratie die marxistische Fangfrage, warum sich die Arbeiterklasse denn, wenn sie sich in der österreichischen Haut nicht wohlfühle, unbedingt mit der deutschen und nicht etwa der französischen verbinden wolle.

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