Das neue große Gewicht der Kammer

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Unternehmen haben bei Großprojekten künftig mehr Fürsprache. Dafür sorgt der „Standortanwalt“, den die Wirtschaftskammer stellt. Das finden natürlich nicht alle gut.

Wien. Glück gehabt, kann man sagen. Die türkis-blaue Regierung ist passé, aber dieses Geschenk hat sie der mächtigen Wirtschaftskammer hinterlassen: Sie darf künftig in Genehmigungsverfahren für Großprojekte einen „Standortanwalt“ stellen. Die Standortanwälte beginnen am 1. Juli mit ihrer Arbeit. In Wien wird das, wie berichtet, Alexander Biach sein, bisher Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Bei der Wirtschaftskammer gibt man sich zufrieden: Der Standortanwalt werde die volkswirtschaftliche Bedeutung von Großprojekten darstellen. „Wir hatten das Gefühl, dass andere Faktoren ein Übergewicht haben“, sagte Generalsekretär Karlheinz Kopf am Freitag.

Der Standortanwalt darf bei jedem Großprojekt, das eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchläuft, mitreden. Und da kommt das von Kopf genannte „Übergewicht“ ins Spiel. Wirtschaftsvertreter beklagen seit Langem, dass die Genehmigungsverfahren zu lang dauerten. Dafür machen sie auch Interessenvertreter wie Umweltschützer verantwortlich, die Verfahren bewusst in die Länge ziehen würden, indem sie immer neue Einwände brächten. So brauchte es für die Genehmigung der dritten Piste am Wiener Flughafen 144 Monate. Im Durchschnitt, heißt es von der Kammer, dauerten die Genehmigungsverfahren drei Jahre, obwohl nur ein bis zwei vorgesehen seien.

Mit der Novelle zum UVP-Gesetz, die Ende 2018 beschlossen wurde, sollen diese Verfahren beschleunigt werden. Und es wird besagter Standortanwalt eingesetzt. Er soll die volkswirtschaftliche und standortpolitische Relevanz des Projekts in das Verfahren einbringen: Also zum Beispiel, wie viele Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und ob Verbesserungen der Infrastruktur zu erwarten sind. Dafür hat die Kammer ein „Wertschöpfungsbarometer“ erstellt, auf das er sich im Verfahren berufen kann.

Die Unternehmer zahlen

Der Standortanwalt hat in den Verfahren Parteistellung. Er darf also in der Verhandlung mündlich Stellung nehmen, und seine Position ist von der Behörde zu berücksichtigen. Falls sie andere Interessen höher bewertet, muss sie das genau begründen. Er hat Akteneinsicht und das Recht, gegen den Genehmigungsbescheid Beschwerde und Revision einzulegen. „Er soll vor allem ein Gleichgewicht zum Naturschutz- und Umweltanwalt sein“, sagt Wirtschaftskammer-Experte Stephan Schwarzer. NGOs, Bürgerinitiativen und die erwähnten Umweltanwälte haben also künftig stärkere Gegner. Verständlich auch, dass die Wirtschaftskammer den Standortanwalt für sich reklamiert hat: Mit ihren zahlreichen Experten und Analyseabteilungen kann er so mit deutlich mehr Munition ausgerüstet werden, als wenn er, wie die Umweltanwälte, den Landesregierungen zugeordnet worden wäre. Die Kammer legt auch Wert auf die Feststellung, dass weder die Projektwerber noch die Steuerzahler für die Standortanwälte aufkommen müssen. Die Wirtschaftskammer finanziert sich ja bekanntlich über – verpflichtende – Mitgliedsbeiträge der Unternehmer.

Umweltschützer sind kritisch

Freilich, nicht alle finden das alles so gut wie die Spitzen der Wirtschaftskammer. Thomas Alge, Leiter von Ökobüro, einer Allianz von Umweltschutzorganisationen, sieht die Interessen der Wirtschaft in den Umweltverträglichkeitsprüfungen schon jetzt überrepräsentiert. „Die Wirtschaftskammer hat Millionenbudgets und kann sich in jedes Verfahren einbringen. Diese Ressourcen haben wir nicht.“ In Zeiten von Klimakrise und Artensterben sei das kritisch. „Eigentlich bräuchte es mehr Umweltschutz in den Verfahren“, sagt Alge.

Es handle sich um „öffentliche“ Interessen, beteuert die Wirtschaftskammer. Und betont, dass Investitionen von sechs bis zwölf Mrd. Euro getätigt würden, wenn alle 80 Projekte, die in der Warteschleife sind, realisiert würden. Und sicherheitshalber sagte Kopf dazu: „Wir sind ja nicht der Feind der Umwelt und der Natur.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2019)

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