Härtere Strafen sind kein Gewaltschutz

In manchen Gefängnissen gehen die Türen zu den Hafträumen nur für ein bis zwei Stunden täglich auf.
In manchen Gefängnissen gehen die Türen zu den Hafträumen nur für ein bis zwei Stunden täglich auf.(c) Clemens Fabry
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Gesetzesentwurf. Das Dritte Gewaltschutzgesetz, das derzeit zur Begutachtung vorliegt, enthält sinnvolle Maßnahmen zur Gewaltprävention und zum Opferschutz. Die strafrechtlichen Verschärfungen gehören nicht dazu.

Wien. Adrian sitzt auf dem Stockbett. Seit sieben Monaten ist er in diesem Gefängnis, in dem er eigentlich resozialisiert werden sollte. Er hatte mit Drogen zu tun und ist, als er sich bei einem Geschäft betrogen fühlte, gewalttätig geworden. Es war nicht das erste Mal, und nun sitzt er da und ist vor allem damit beschäftigt, nicht zu explodieren. Der Haftraum ist nämlich eng, so eng, dass, wenn einer steht, der andere im Stockbett sitzen muss. So, dass man seitwärts aneinander vorbeigehen muss, weil man anders nicht vorbeikommt. Es gibt nicht einmal für jeden von ihnen einen Sessel.

Es ist sehr heiß geworden in diesen Sommertagen, der Ventilator kühlt den kleinen Raum nicht mehr. Eigentlich ist dieser Haftraum für zwei Leute gedacht. Aber seit der Insassenstand so hoch ist wie seit vielen Jahrzehnten nicht, werden in etliche dieser Zweimannzellen Stockbetten gestellt. Vier Männer müssen hier Tag und Nacht miteinander verbringen.

22 Stunden weggesperrt

Wenn er Arbeit hätte, wäre es leichter. Aber es gibt zu wenig Arbeitsplätze, und da er keine Kontakte hat und zu den Beamten frech war, steht er ganz hinten auf der Warteliste. Wenn es so eine Liste überhaupt gibt. Es würde auch schon helfen, wenn die Tür länger offen wäre, nicht nur ein, zwei Stunden am Tag. Der Fitnessraum wurde gesperrt, nachdem es eine Schlägerei gegeben hatte, an der er gar nicht beteiligt gewesen war. Die Unterschriftenliste, mit der man eine Laufgruppe auf dem weitläufigen Anstaltsgelände initiieren wollte, blieb unbeantwortet.

Man kann sich nicht abreagieren und muss die Energie und vor allem die Aggression irgendwie anders abbauen. Denn eines will Adrian unbedingt vermeiden: dass er noch einmal ausrastet und dann noch länger hierbleiben muss. Gut, dass der Anstaltsarzt so leicht Tabletten verschreibt, findet Adrian.

Kommt das Dritte Gewaltschutzgesetz, das derzeit zur Begutachtung vorliegt, würde Adrian mit seinen 19 Jahren noch länger in einem noch volleren Strafvollzug sitzen. Denn zukünftig sollen für ihn die gleichen Strafrahmen wie für Erwachsene gelten und nicht mehr das mildere Jugendgerichtsgesetz. Die Novelle sieht außerdem eine Reihe von Erschwerungsgründen vor, die eine höhere Strafe wahrscheinlich machen. So soll es etwa strafverschärfend gewertet werden, wenn der Täter „eine nachhaltige Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens des Opfers verursacht hat“. Als besonders erschwerend soll zudem gewertet werden, dass Adrian schon zweimal wegen eines Gewaltdelikts verurteilt wurde, wenn auch noch nie zuvor zu einer Freiheitsstrafe.

Die Verschärfung der Strafen für junge Erwachsene, also für 18- bis 20-Jährige, wurde öffentlich kaum diskutiert. Mit der Novelle fiele die Besserstellung junger Erwachsener in bestimmten Deliktsbereichen weg; damit würde der Verzicht auf Mindeststrafen verunmöglicht, was den richterlichen Ermessensspielraum und die adäquate Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall einschränkt. Erstmals seit 1852 wäre es dann auch möglich, gegen unter 20-Jährige eine lebenslange Freiheitsstrafe auszusprechen. Die Stoßrichtung dieser Reform widerspricht dem breiten Konsens in Wissenschaft und Praxis, dass sich Jugendliche und Heranwachsende in einer Phase der Norm- und Grenzüberschreitungen, aber auch der Krisen befinden. Bei dieser Altersgruppe mit harten Freiheitsstrafen zu reagieren verkennt den in der Regel episodenhaften Charakter von Jugendkriminalität und ignoriert den devastierenden und stigmatisierenden Effekt von Gefängnisaufenthalten in jungen Jahren.

Haftzahlen werden noch höher

Die Verschärfungen gegenüber jungen Erwachsenen werden in Kombination mit anderen im „Gewaltschutzgesetz“ vorgeschlagenen Maßnahmen wie der umfangreichen Ausweitung der Erschwerungsgründe, der Möglichkeit der Anhebung von Mindeststrafdrohungen bei bestimmten Gewalttaten, der Anhebung der Mindeststrafe bei Vergewaltigung und der Abschaffung der bedingten Nachsicht bei diesem Delikt die Haftzahlen weiter in die Höhe treiben.

In der öffentlichen Diskussion wurde zuletzt vor allem die Reform des Maßnahmenvollzugs gefordert. Seit nunmehr fünf Jahren kennen wir zwar den verwesten Fuß aus der Justizanstalt Stein, nicht aber den finalen Text für ein neues Maßnahmenrecht, geschweige denn eine gesicherte Finanzierung der geplanten Neuerungen, etwa forensischer Zentren. Aber nicht nur der Maßnahmenvollzug, auch der ganz normale Strafvollzug ist völlig überlastet und überfordert, wie auch die Volksanwaltschaft kürzlich wieder einmal darlegte: zu lange Einschlusszeiten, zu wenig Angebote, zu viele Insassen auf engstem Raum, zu wenig Personal.

Der Insassenstand ist mit knapp 9500 höher denn je, zahlreiche Stellen, von der Justizwache bis zum medizinischen Personal, sind unbesetzt. In den übervollen Haftanstalten bleiben Aktivitäten außerhalb des Haftraums, Betreuung, Beschäftigung und Ausbildung auf der Strecke. Damit schwinden die Möglichkeiten eines resozialisierenden Strafvollzugs und steigt die Gefahr von Rückfällen nach der Haftentlassung, wie auch der Verein Neustart in seiner Stellungnahme zur Novelle kritisiert.

Einige der Maßnahmen, die aus der Taskforce von Ex-Staatssekretärin Edtstadler hervorgegangen sind, sind durchaus sinnvoll. Mit der Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz, die ebenfalls zur Begutachtung vorliegt, soll der Opferschutz gestärkt werden, indem Fallkonferenzen in Hochrisikofällen und Täterarbeit nach Wegweisungen verpflichtend eingeführt werden und der Informationsaustausch zwischen den involvierten Stellen ermöglicht und geregelt wird. Gewaltinterventionszentren, in denen auch die Täter betreut werden, sollen entstehen. Die geplanten Änderungen im Strafrecht verdienen jedoch den Namen Gewaltschutzgesetz nicht: Es ist in erster Linie ein sinnloses Strafverschärfungsgesetz, das zu Recht heftig von Fachleuten kritisiert wird – vor allem auch von Experten und Expertinnen aus der Taskforce.


Veronika Hofinger ist wissenschaftliche Geschäftsführerin am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie und leitet derzeit eine Studie zu Haftbedingungen und Gewalterfahrungen österreichischer Gefangener.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2019)

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