Edmund Kalb: Schaut so das Denken aus?

(c) Vorarlberg Museu
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Er war Sonderling und Ausnahmezeichner: Der Dornbirner Edmund Kalb schuf 1000 Selbstporträts, mit denen er so Abstraktes wie das Denken darstellen wollte.

Ein Jahr nachdem im Belvedere der Linzer Ausnahmezeichner Klemens Brosch (1894–1926) vorgestellt wurde, zeigt jetzt im Leopold Museum der nur sechs Jahre jüngere Vorarlberger Outsider Edmund Kalb, wie rasant es nach dem kosmischen Symbolismus weitergehen konnte, wie rasch die Grenzen überschritten wurden, mitten hinein in eine kosmische Abstraktion. Wenn, ja wenn man der Kunstwelt verloren gegangen ist, wie diese beiden. An tragischen Genie-Klischees haben ihre Lebensgeschichten jedenfalls einiges zu bieten.

Brosch, in Klimts Zeiten als Wunderkind an der Akademie gefeiert, brachte sich schließlich auf einem Linzer Friedhof um. Kalb, der zu Lebzeiten kein einziges Bild verkaufte, starb 1952 vereinsamt an einem Darmgeschwür, ohne dass die in seiner Wohnung nur durch eine dünne Wand vom Bett getrennten Zwangsmieter seinen tagelangen Todeskampf bemerkt hätten. Sechs Jahre nur liegen zwischen Brosch und Kalb, sechs Jahre aber, die damals Schicksale entschieden. So musste Brosch in den Ersten Weltkrieg einrücken, aus dem er morphiumsüchtig zurückkam. Kalb, Jahrgang 1900, entging einem derart frühen Kriegstrauma. Bei seinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg wusste er sich als erwachsener Querulant gegen die Nazi-Autorität zu wehren, sodass er fast vors Kriegsgericht gekommen wäre – fast, es blieb bei Gefängnisaufenthalten wegen Befehlsverweigerung. Der Beginn eines bis zu seinem Lebensende dauernden Ringens mit Behören, das in mehreren Haftstrafen und Zwangsmaßnahmen mündete.

Sein Hauptwerk war da schon geschaffen, es entstand in den 20er und 30er Jahren und bestand aus rund 1000 Selbstporträts, in denen dieser verschrobene Intellektuelle im engen Umfeld seiner Heimat Dornbirn versuchte, nicht weniger als das Denken darzustellen. So schreibt er etwa 1937 auf die Rückseite eines Porträts: „Das Bild drückt charakteristisch momentanes und intensives Denken und Anstrengung zu Scharfsinn aus“. Unglaubliche Zeichnungen entstanden so, stilistisch experimentell bis zur völligen Auflösung in spiralenförmig-expressives Gewirbel. Oder in konzeptuell Erstaunliches wie 1928 die Kaltnadelradierung eines Selbstbilds ohne Gesicht, der leere Kopf nur durch minimale Striche angedeutet. Daneben entstanden immer auch Porträts intensiv blickender Kinder, wenig schmeichelhafte Akte von Frauen und sich selbst.

Zeichnungen aus dem Feuer geholt

In 125 Exponaten kann man dieses erstaunliche Werk erstmals in Wien jetzt kennenlernen, kuratiert von den absoluten Vorarlberger Kalb-Experten Kathleen und Rudolf Sagmeister. Es bleibt einem der Mund offen stehen, wenn sie erzählen, wie sie seit 1982 versuchen, diesen Künstler aus der Versenkung zu holen (sie zeigten seine Zeichnungen sogar im Kulturforum in New York) und dabei dieses ganze Werk zusammenzusammeln. So zogen sie noch eigenhändig die Zeichnungen und andere Materialien aus dem Feuer, das die Nachfahren Kalbs schnell hinterm Bauernhof aufgehäuft und angezündet hatten, als sich die beiden Kunsthistoriker zur Recherche angemeldet hatten. Was für ein Fegefeuer. Schweinkram, wurde in der Familie genannt, was dieser aus ihnen Herausragende schuf. Schon der eigene Vater hatte ihm keine Farben gegönnt, ihm „Papierverschwendung“ vorgeworfen – er war Wappenmaler, eine Fertigkeit, die auch sein einziger Sohn lernen musste, sie sicherte immerhin sein Brot und gutes Überleben.

Durch diese Missachtung ist natürlich vieles verloren gegangen, bis man Mitte der 1950er Jahre erstmals auf diesen Künstler wieder aufmerksam wurde. Nur 600 der 1000 Selbstporträts sind etwa erhalten, auch die Tagebücher großteils vernichtet. Immerhin weiß man noch, dass Kalb, der einst in München Kunst studierte, Esperanto lernte und darin mit vielen, auch Künstlerkollegen in Europa korrespondierte, sich mit Mathematik, Weltraumtechnik und Atomphysik, mit Rudolf Steiner, der Theosophie und anderer Mystik beschäftigte. Er hielt sich auch an strenge Essensregeln, war Vegetarier wie Leonardo da Vinci und begann nach dem Krieg, Gemüse und Obst in sonderbaren Kreuzungen zu züchten.

Der Sammler Rudolf Leopold war übrigens einer der wenigen, der früh dieses Talent erkannt und angekauft hatte. Es ist dennoch interessant, dass trotz der (in einem Film zu sehenden) Expertisen von Fachleuten wie Edelbert Köb oder Klaus Albrecht Schröder so wenig bekannt ist über diesen genialischen Sonderling. Auch nicht in Vorarlberg selbst, wo man im Landesmuseum vergeblich nach einer Galerie, nach einer Kunstgeschichte des Landes sucht.

Bis 18. 8., tägl. außer Di. 10–18h, Do. bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2019)

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