Hongkongs Regierungschefin entschuldigt sich bei Bevölkerung

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Sie habe die Menschen „laut und deutlich“ vernommen, sagt Carrie Lam. An Rücktritt denkt sie aber nicht. Ihre politischen Tage seien gezählt, mein ein Experte.

Nach den Massenprotesten in Hongkong hat sich die Regierungschefin Carrie Lam bei der Bevölkerung für die Kontroverse über das Gesetz für Auslieferungen an China entschuldigt. "Ich habe einen großen Teil der Verantwortung zu tragen", sagte die 62-Jährige am Dienstag vor der Presse und äußerte ihr "aufrichtige Entschuldigung". Sie habe die Menschen "laut und deutlich" vernommen und werde versuchen, Vertrauen wiederherzustellen. Dennoch will Lam einer anderen Forderung der Demonstranten - zurückzutreten - nicht nachkommen.

Es war Lams erster öffentlicher Auftritt, seit Lam das Gesetz am Samstag auf Eis gelegt hatte und am Sonntag mehr als eine Million Menschen auf die Straße gegangen waren. Allerdings zog sie das Gesetz nicht wie von den Gegnern gefordert komplett zurück. Die Novelle würde den Hongkonger Behörden ermöglichen, von China verdächtigte Personen auszuliefern, obwohl die chinesische Justiz nicht unabhängig ist und auch der politischen Verfolgung dient. Auch warnten Kritiker vor Folter und Misshandlungen.

Die seit 2017 im Amt befindliche Lam hatte den Widerstand gegen den Gesetzesentwurf unterschätzt und sich in eine Sackgasse manövriert. Nie zuvor in den vergangenen drei Jahrzehnten waren so viele Menschen in Hongkong auf die Straße gegangen. Das Gesetz auszusetzen, gilt als größter politischer Rückzug der Pekinger Führung in der Ära von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Chinas Regierung beteuerte zwar, weiter voll hinter Lam zu stehen, doch gilt die Hongkonger Regierungschefin als angeschlagen. In ihrer Rede widersetzte sich Lam allerdings den Rücktrittaufforderungen der Demonstranten.

„Ihre Karriere ist praktisch vorbei“

"Im Grunde hat sie das Vertrauen von Xi Jinping verloren. So lässt sich sagen, dass ihre Karriere als oberste Verwaltungschefin in Hongkong praktisch vorbei ist", sagte der China-Experte Willy Lam, Professor an der Chinesischen Universität von Hongkong. "Ihr wird eine gesichtswahrende Gnadenfrist gegeben." Er hielt es gleichwohl für möglich, dass sie bis ans Ende ihrer Amtszeit 2022 im Sessel bleibt. Eine zweite Amtszeit schloss er aber aus.

Die 62-jährige Katholikin hat in den vergangenen Jahren das Image einer karrierebewussten Frau gepflegt, die mit stets perfekt sitzender Kurzhaarfrisur vor die Öffentlichkeit tritt. Die Anfänge ihres Berufslebens reichen in die Kolonialzeit zurück - jene Epoche vor der Übergabe der britischen Kronkolonie an China im Jahr 1997.

Sie ist seither nie von der Linie der Loyalität gegenüber der Führung in Peking abgewichen. Auch während der sogenannten Regenschirm-Revolution 2014 widersprach sie Studentenführern offen, wenn diese eine Direktwahl für das Amt des Regierungschefs in Hongkong forderten.

Erste Frau an der Spitze Hongkongs

Lam ist die erste Frau an der Spitze von Hongkongs Verwaltung. Lange war die aufstrebende Staatsdienerin dem breiteren Publikum nicht bekannt. Das änderte sich allmählich, als sie 2012 Stellvertreterin des damaligen Regierungschefs Chun Ying Leung wurde.

Ein Teil der Bevölkerung setzte in jener Zeit noch große Hoffnungen in die Zusage Pekings, Hongkong werde unter dem Motto "Ein Land - zwei Systeme" auf 50 Jahre hinaus weitreichende innere Autonomie genießen. Ursprünglich zählte dazu auch, dass für Hongkong freie Wahlen in Aussicht gestellt wurden. Aber bei der Wahl Lams kam es ganz anders. Sie wurde von einem Wahlkomitee ins Amt gehievt, in dem die Peking-Getreuen das Sagen haben.

(APA/dpa/AFP/red.)

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