Eric Carle wird 90: Nicht nur der Schöpfer der Raupe Nimmersatt

imago images / ZUMA Press
  • Drucken

Er feiert seinen 90er, sein berühmtestes Buch ist 50 Jahre alt: Eric Carle schuf aber noch viele andere großartige Kinderbücher. Von Enten, Glühwürmchen und Bären.

Er schuf eine Kinderbuch-Heldin von Weltruhm - seine eigene Kindheit nennt Eric Carle mitunter albtraumhaft. Der Autor und Illustrator von "Die kleine Raupe Nimmersatt" wird am 25. Juni 90 Jahre alt. Carle kam als Sechsjähriger mit seinen Eltern aus den USA nach Nazi-Deutschland. "Dieser Schulbeginn ist mir unvergesslich - ein kleines Klassenzimmer mit schmalen Fenstern, ein harter Bleistift, ein kleines Blatt Papier und die strenge Ermahnung, keine Fehler zu machen", schreibt er über die Schulzeit in Stuttgart. Carle, der schon als Kind das Malen liebte, vergisst die Schläge seines Lehrers mit dünnem, hartem Bambusstock sein Leben lang nicht.

Bereits die Einschulung in den USA war ein einschneidendes Erlebnis: "Es ist ein riesiger Sprung, den ein Kind dann tun muss; der Sprung aus der Welt des Spiels und der Sinne in die Welt des Verstands und der Abstraktion, der Ordnung und Disziplin", erklärt Carle. Diesen Abgrund habe er mit seinen Kinderbüchern überbrücken wollen - seit 1967 veröffentlichte er mehr als 100, die in mehr als 70 Sprachen übersetzt wurden.

Collagen aus selbstbemaltem Seidenpapier

Collagen aus selbstbemaltem Seidenpapier werden zu Carles Markenzeichen. Zu den Künstlern, die ihn beeinflusst haben, zählt er Paul Klee. Ein Zeichenlehrer machte den Gymnasiasten Carle heimlich mit den Werken expressionistischer und anderer moderner Künstler vertraut, die von den Nazis als entartet bezeichnet wurden. 1935 waren Carles Eltern - zwei deutsche Auswanderer - in ihre Heimat zurückgekehrt. Seine Oma habe bei einem Besuch in den USA von Adolf Hitler erzählt, der Arbeitslosigkeit und Hunger beseitigt habe.

(c) S.Bodmann

Für seine berühmteste Geschichte von der gefräßigen Raupe, die nach der Verpuppung als wunderschöner Schmetterling erwacht, stanzte der Autor Löcher in die Seiten. Alle dreißig Sekunden wird nach Angaben des Gerstenberg Verlags weltweit ein Exemplar des Buches verkauft - mehr als 50 Millionen sind es bis heute.

Wunderbare Bücher abseits der Raupe

Es gibt aber noch dutzende andere Bücher, die er in seinem typischen Stil zeichnete. Sie alle sind für Kinder im Kindergartenalter gemacht. Etwa„Ein Haus für Herbert“, der suchende Einsiedlerkrebs, dessen Haus zu eng geworden ist. Oder „10 kleine Gummienten“, die am offenen Meer landen und deren Schicksal Carle nachzeichnet.

Oder „Das kleine Glühwürmchen“, das auf seiner Suche nach anderen seiner Art allerlei Lichtern folgt. Oder „Die Riesenschlange Sansibar“, die alle verschlingt, die ihr in die Quere kommen - woraufhin das „Geschubse und Gekrauche" ihr so große Übelkeit bereitet, dass sie all ihre Opfer wieder ausspeit.

(c) Gerstenberg

Oder „Freunde“, das erst vor zwei Jahren erschien und im wahren Leben zu einem unverhofften Wiedersehen führte. „Es waren einmal zwei Freunde, die waren ständig zusammen“, beginnt das Buch. Allerdings ist  das Mädchen eines Tages weg. Der Junge sucht sie verzweifelt, schwimmt durch Flüsse und überwindet Berge, und am Ende des Buches findet er sie. Durch ein Foto auf der letzten Seite wurde Carle so von seiner Kindheitsfreundin gefunden.

Menschen sind aber selten zu sehen in Carles Büchern: Vor allem geht es darin um Tiere und Umwelt. Wegen seiner Wertschätzung für die Natur sei Carles Hauptwerk 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung immer noch nicht aus Kinderzimmern wegzudenken, sagt der Literaturwissenschaftler Arno Rußegger von der Uni Klagenfurt. Außerdem habe die Geschichte über die Zeit und kulturelle Grenzen hinweg Gültigkeit - und mache das Bilderbuch zum Klassiker: "Es geht um Selbstverwirklichung, Selbstermächtigung. Empowerment würde man heute sagen. Es ist nach wie vor notwendig, dass man sich selber positionieren kann im Leben - und diese kleine Raupe symbolisiert das." Eine so große Erzählung auf wenige Seiten zu bringen, das sei große Kunst.

Carle kam zufällig zum Kinderbuch

Dabei kam der heute in Florida lebende Illustrator zufällig zum Kinderbuch und zum Erzählen: 1952 kehrt Carle nach dem Abschluss an der Kunsthochschule Stuttgart in die USA zurück und wird Grafikdesigner bei der "New York Times" und Art Director bei einer Werbeagentur. Der Schriftsteller Bill Martin Jr. sieht eines Tages eine von Carles Grafiken und fragt, ob er die Bilder zur Geschichte "Brauner Bär, wen siehst denn du?" anfertigen könne.

"Von da an gab ich nach und nach meine anderen Arbeiten auf und begann, an Kinderbüchern zu arbeiten und für das Kind in mir", sagt Carle. "Mein inneres Kind - das so plötzlich und einschneidend entwurzelt und unterdrückt worden war - wurde langsam wieder lebendig." Seine farbenfrohen Illustrationen sieht er als eine Art Gegenmittel zu dem Grau und Braun seiner Kindheit in Deutschland.

(c) Gerstenberg

(rovi/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.