Prada in Shanghai: Beinahe ein Heimspiel

Vorschau. Die in Shanghai gezeigte Herren­kollektion für Sommer 2020.
Vorschau. Die in Shanghai gezeigte Herren­kollektion für Sommer 2020.(c) Primol Xue
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Miuccia Prada brachte ihre Männerkollektion nach Shanghai, seit 40 Jahren die Partnerstadt Mailands. In der Megalopole sind Marke und Mode bestens aufgehoben.

Shanghai ist eine Stadt, die dem Betrachter manchmal unter den Fingern zerfällt, indem er sie zu begreifen versucht. Spaziert man durch eines der wenigen noch existierenden traditionellen Wohnviertel mit ihren engen Gässchen unweit des Bundes, kann es einem schon einmal passieren, dass die Bewohner erzählen, in wenigen Monaten werde hier alles dem Erdboden gleichgemacht. Um Platz zu machen für Neues, Hohes, Hochstrebendes – wie das meiste in dieser gigantischen Stadt, die abends an den Ufern des Huangpu-Flusses glitzert wie ein kostbar befülltes Schatzkästchen. Und es ist genau diese Dynamik – von außen besehen kann sie schon etwas Bedrohliches haben –, die Shanghai zum Symbol für das zeitgenössische China und seinen explosiven Charakter macht.

Wer etwas gelten will, das betrifft auch die Welt des Luxus-Lifestyle, ist hier vertreten, und zwar so prominent wie möglich. Der erste Schritt für viele Modemarken waren Boutiquen, die möglichst früh und möglichst flächendeckend von den bekanntesten globalen Playern eröffnet wurden. Doch längst gilt es auch, mit Events von sich reden zu machen: Nur so kann eine Marke ihren Status behaupten und mittelfristig als begehrenswert gelten. Das Angebot wird ständig größer; um he­rauszustechen, sind Einfallsreichtum und Präsenz vonnöten. Weil das aber allen bewusst ist, jagt in Shanghai eine Veranstaltung die nächste.

Neunutzung. Die Show fand in einer umgebauten Werft am Huangpu-Fluss statt.
Neunutzung. Die Show fand in einer umgebauten Werft am Huangpu-Fluss statt.(c) Beigestellt

Zuhause auf der ganzen Welt. Wie freilich in der ehrwürdigen Camera Nazionale della Moda Italiana die Entscheidung aufgenommen wurde, dass die Laufstegpräsentation der Sommerkollektion 2020 für Herren von Prada diesmal in Shanghai stattfinden würde und nicht in Mailand, kann man nur erahnen. Das – wenn auch nur punktuelle – Abwandern eines so wichtigen Lokalmatadors an einen anderen Ort schwächt unweigerlich die ohnehin schon kurze Männermodewoche, die zuletzt etwa wegen der Zusammenlegung mancher Herren- und Damendefilees zugunsten der Milano Moda Donna ausgedünnt war.

Offizieller Grund für die einmalige Verlagerung der Show nach Shanghai war die seit genau 40 Jahren bestehende Städtepartnerschaft mit Mailand. Man kennt sich also schon seit Langem und steht sich nahe, auch Miuccia Prada bestätigt das nach der Show: „Das Jubiläum der Städtepartnerschaft von Mailand und Shanghai war ein Anlass. Im Großen und Ganzen finde ich aber, dass wir in allen großen Städten zuhause sein müssen – darum sind wir jetzt hier, haben aber die Cruisekollektion für Damen vor Kurzem in New York gezeigt." Weil sie sich überall auf der Welt zuhause fühlt und eine Kollektion entwirft, die rund um den Globus gefallen soll, spricht sich Frau Prada auch dagegen aus, beim Entwurfsprozess einen bestimmten Markt mehr als andere im Auge zu haben. Dass die lokale Verortung der Show Einfluss auf die Formgebung der Kollektion genommen haben könnte, verneint sie mit Nachdruck: „Man muss heute in der Welt überall zugleich sein, sich für alle Orte interessieren. Kein Wunder, dass vom ,Global Village‘ die Rede ist. Dazu gehört auch Shanghai, wie viele andere Städte. Aber ich halte nichts davon, eine Kollektion zu machen, die an einem bestimmten Ort besser funktionieren soll als an anderen."

Kunstvoll. Die chinesische Künstlerin Cao Fei konzipierte die neue Kampagne.
Kunstvoll. Die chinesische Künstlerin Cao Fei konzipierte die neue Kampagne.(c) Cao Fei

Ein Stadthaus für die Kunst. Das Land kennt Miuccia Prada seit fast drei Jahrzehnten: „Ich war noch jung, als ich das erste Mal hierher kam, und bin oft wiedergekommen. Ich erinnere mich noch an die Frauen, die in ihrer Sportmontur im Park Gymnastik machten, und welchen Eindruck das bei mir hinterließ." Während die Mode ihre primäre Ausdrucksform bleibt, ist die Designerin bekanntermaßen an vielen Formen des Kulturschaffens interessiert. Hatte sie ursprünglich Literatur und Philosophie studiert, so ist sie mit ihrem Eheman Patrizio Bertelli seit vielen Jahren auch als Kunstsammlerin und -mäzenin tätig. Mit den Niederlassungen der Fondazione Prada in Venedig und Mailand bereichert das Ehepaar die zeitgenössische Kunstszene in Italien wesentlich: Das Engagement der beiden in diesem Bereich erstreckt sich aber auch ins Ausland: Hier spielen China und konkret Shanghai eine besondere Rolle, denn in der Riesenstadt betreibt man mit dem in einem revitalisierten historischen Stadthaus untergebrachten Kulturraum „Rong Zhai" den einzigen Ort dieser Art außerhalb Italiens.

2017 wurde dieser im geschäftigen Herzen von Shanghai untergebrachte Bau, der Kulturveranstaltungen und wechselnde Ausstellungen beherbergt, der Öffentlichkeit vorgestellt. Wenige Tage vor der Präsentation der Männerkollektion eröffnete hier eine von der Künstlerin Goshka Macuga verantwortete Ausstellung mit dem Titel „What Was I?".

Herzstück ist die Installation eines anthropomorphen Androiden, der auf ein postapokalyptisches Szenario der vom Menschen selbst zugrunde gerichteten Welt verweist. „To the Son of Man Who Ate the Scroll" war zuvor in der Fondazione Prada in Mailand zu sehen, in Shanghai steht die technoide Arbeit einer Auswahl von Kunstwerken aus der italienischen Moderne gegenüber, die Macuga selbst aus der Collezione Prada traf. Arte Povera und Vertreter des Gruppo Zero stehen mit Macugas Android-Installation im Dialog – das Sprechen freilich übernimmt der „man-made man", der nämlich einen manifestartigen Text zum Besten gibt.

Ehrengast. Auf der VIP-Gäste­liste in Shanghai: Der Wiener Musiker Yung Hurn.
Ehrengast. Auf der VIP-Gäste­liste in Shanghai: Der Wiener Musiker Yung Hurn.(c) Emmanuel Wong/getty images

Kampagne mit Köpfchen. Nah zusammengerückt sind Modeschaffen und Kunstverständnis von Miuccia Prada auch in der Kampagne zur Bewerbung ihrer Männerkollektion für den kommenden Herbst, die zeitgleich zur Show in Shanghai enthüllt wurde. Im Mittelpunkt steht der chinesische Musiker und als Influencer geltende Cai Xu Kun, der in chinesischen sozialen Medien eine riesige Fangemeinde hat und sich darum als Markenbotschafter eignet. Um dem intellektuellen Anspruch von Prada gerecht zu werden, handelt es sich allerdings nicht um eine bloß an der Oberfläche funktionierende Influencerkampagne: Verantwortlich zeichnet die Gegenwartskünstlerin Cao Fei, die diese Arbeit mit einem theoretischen Text begleitet und das Projekt unter das Motto „Code Human" stellt. Die Inszenierung von Kun möchte Fai als Reflexion über Ikonografie und Fankultur verstanden wissen. Sie, Jahrgang 1978, sei zwar alt genug, um der Elterngeneration von Kuns Fans anzugehören, der Auftrag habe sie aber fasziniert: „Nur jemand, der so verrückt ist wie Miuccia Prada, kann auf die Idee kommen, eine Künstlerin so ein chinesisches ,Idol‘ fotografieren zu lassen", schreibt sie und bezeichnet ihre Auftraggeberin zugleich als geborene Rebellin.

In der Tat hat sich Miuccia Prada in den vergangenen Jahrzehnten mit den von ihr so gut wie von wohl wenigen anderen beherrschten Brüchen und Kombinationen von unerwarteten Kontrasten einen Namen gemacht. Während dieser Grundzug also in das Konzept und die Gestaltung der Code-Human-Kampagne von Cao Fei Eingang fand, ist die Kollektion, die sie in Shanghai zeigt, eine an Sollbruchstellen arme, harmonisch in sich selbst aufgehende Spielart von Herrenmode.

Der offensichtlich existierenden großen Fangemeinde von Prada in China (von einigen VICs, das steht für „Very Important Customer", heißt es, sie würden manche Kollektionen der Einfachheit halber gleich komplett kaufen) wird diese Art von urbaner Survival Fashion bestimmt gefallen haben. Ob alle darüber hinaus angebotenen Inhaltsebenen für die Rezeption dieser Kollektion angenommen werden, weiß man ja nie. Es ist aber schön zu sehen, dass die große Intellektuelle der italienischen Mode sich auch dann treu bleibt, wenn sie sich auf ein Fernspiel einlässt.

Der Autor reiste auf Einladung von Prada nach Shanghai.

Ein Ort des Innehaltens

Wie kaum eine andere Riesenstadt wächst Shanghai ständig über sich ­hinaus. Immer rarer werden jene Viertel in Zentrumsnähe, wo man nicht von riesigen Hochhäusern umgeben ist. Etwas im Norden der von Touristen ­frequentierten French Concession gelegen, doch unweit der Shoppingmeile der West Nanjing Road und des schönen Jing-An-Tempels befindet sich das revitalisierte Stadthaus namens Rong Zhai: Seit 2017 betreibt hier die Firma Prada nach umfassenden Renovierungsarbeiten einen Kunstraum. Man habe die Expertise, die man bei vergleichbaren Projekten wie der Instandsetzung der Galleria Vittorio Emanuele  II in Mailand und des Palazzo Ca’ Corner della Regina in Venedig gewonnen habe, auf die ehemalige Residenz des 1918 von dem Industriellen Rong Zongjing erworbenen Anwesens umgelegt.

Die Verbundenheit von Miuccia Prada und ihrem Ehemann Patrizio Bertelli zu Shanghai lässt sich wohl auch aus diesem Engagement ablesen. Regelmäßig präsentiert man Wechselausstellungen, derzeit ist hier die Fortsetzung einer Ausstellung der Polin Goshka Macuga aus der Fondazione Prada in Mailand zu sehen. Die eigens kreierte Installation mit einem Androiden im Zentrum wurde übernommen, kombiniert mit einer von Macuga getroffenen Auswahl von Kunstwerken aus der Fondazione Prada.

Idyllisch. Seit 2017 betreibt ­Prada den Kunstraum Rong Zhai in Shanghai.
Idyllisch. Seit 2017 betreibt ­Prada den Kunstraum Rong Zhai in Shanghai.(c) Agostino Osio
Dialog. Die aktuelle Installation von Goshka Macuga im Prada-Kunstraum.
Dialog. Die aktuelle Installation von Goshka Macuga im Prada-Kunstraum.(c) Alessandro Wang

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