Ein nächtlicher Polizeieinsatz nach einem Streit mit seiner Partnerin bringt den Favoriten um das Amt des neuen Premierministers unter Druck. Doch der 55-jährige Johnson schweigt zu dem Vorfall.
London. Man hat gesagt, nur Boris Johnson kann Boris Johnson im Kampf um die Nachfolge der scheidenden britischen Premierministerin, Theresa May, gefährlich werden. Genau das ist nun geschehen: Nachdem sein Versuch, einen nächtlichen Polizeieinsatz wegzuschweigen, nicht aufgegangen ist, gerät Johnson nun aus seiner konservativen Partei unter Druck: „Es ist immer einfacher, eine Erklärung zu geben“, rief am Sonntag Handelsminister Liam Fox zu einer Klarstellung auf.
Johnson kämpft mit Außenminister Jeremy Hunt um den Einzug in die Downing Street. Während Hunt sich direkter Angriffe enthielt, wurden aus seinem Lager dunkle Warnungen laut. „Es wird Dinge in seinem Privatleben geben, über die wir nichts wissen“, sagte ein Minister der „Sunday Times“: „Es besteht die Gefahr weiterer Enthüllungen oder der Erpressung.“ Fox, der Hunt unterstützt, wies die Darstellung von Johnson als „Sicherheitsrisiko“ zurück: „Glauben Sie wirklich, er hätte in diesem Fall zwei Jahre Außenminister sein können?“ Der jüngste Vorfall in dem bekannt bunten Privatleben Johnsons ereignete sich in der Nacht auf Freitag. Nachbarn alarmierten die Polizei, nachdem sie Türenschlagen, das Zerschlagen von Geschirr und eine Frau schreien gehört hatten: „Verschwinde aus meiner Wohnung.“ Augenzeuge Tom Penn: „Wir machten uns wirklich Sorgen.“ Zugleich übergab er eine Tonbandaufzeichnung der Auseinandersetzung an die linksliberale Tageszeitung „The Guardian“, deren Bericht seither die britischen Medien dominiert.
Rückschlag oder Gamechanger?
In einem ersten öffentlichen Auftritt versuchte der sonst so schlagfertige Johnson am Samstag vor Parteimitgliedern den Vorfall zu ignorieren. „Natürlich haben Sie ein Recht, nach meinem Charakter zu fragen“, räumte er auf wiederholte Fragen ein, um dann über alles zu sprechen – nur nicht darüber. „Wenn ich etwas verspreche, halte ich es auch“, sagte Johnson. Sein Herausforderer Hunt warnte: „Wenn wir die falsche Person wählen, droht uns die Katastrophe.“ Die Tory-Mitglieder wählen bis Ende Juli den Nachfolger Mays als Parteiführer und Premier.
Die Enthüllungen bedeuten für Johnson einen Rückschlag, aber wohl keinen Gamechanger: Nach einer Umfrage der „Mail on Sunday“ fiel Johnson unter den Tory-Mitgliedern in der Frage nach dem besten Premier zwar von 55 auf 45 Prozent, blieb aber weiter klar vor Hunt, der von 28 auf 34 Prozent zulegte. Er wiederholte seine Forderung an Johnson, sich einem TV-Duell zu stellen, bevor die Konservativen ihre Wahl treffen: „Haben Sie den Mut und stellen Sie sich diesem Bewerbungsgespräch vor der Nation.“
Johnson, 55, ist für sein bewegtes Berufs- und Privatleben bekannt. Mehrere Jobs verlor er wegen Lügen. Als EU-Korrespondent war er mit Geschichten, die mehr Dichtung als Wahrheit enthielten, maßgeblich an der Schaffung eines antieuropäischen Klimas in Großbritannien beteiligt. Nach der Trennung von seiner zweiten Frau, mit der er vier Kinder hat, lebte er zuletzt mit der 31-jährigen Parteimitarbeiterin Carrie Symonds. Sie wurde seit Freitag nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2019)