Pflege bei AUVA? "Als würden Sie jemanden mit Bauchschmerzen zum HNO-Arzt schicken"

Die Presse
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Die Reaktionen auf die Pflege-Reformpläne der ÖVP sind durchwachsen. Die AUVA selber hält sich bedeckt. Die Chefin der GPA, Barbara Teiber, nennt den Ansatz der ÖVP „absurd“.

In der vom ÖVP-Pflegekonzept hauptbetroffenen AUVA hält man sich zu den Plänen bedeckt. Aus Sicht der AUVA-Führung müssten zunächst Leistungsspektrum und Finanzierung definiert und mit einem tragfähigen legistischen Konzept versehen werden. Grundsätzlich müsse der Gesetzgeber entscheiden, "welche Leistungen wir als Sozialversicherungsträger erbringen sollen", hieß es am Montag in einer Mail von AUVA-Obmann Anton Ofner.

>> Pflegeversicherung: Durchwegs Ablehnung für ÖVP-Vorschlag

Auch von anderer Seite gab es Reaktionen auf die Wünsche der ÖVP. Seitens der Wirtschaftskammer wurde darauf verwiesen, dass es ungeachtet der Pflegereform zu einer spürbaren Senkung der Lohnnebenkosten kommen müsse. Aus Sicht der Wirtschaft müsse jedenfalls ein nachhaltigerer Einsatz der vorhandenen Mittel zur Unterstützung der Menschen gefunden werden sowie eine bessere Koordination, etwa wenn es darum gehe, sicherzustellen, dass die Unterstützung bei den Pflegebedürftigen ankomme.

Caritas: Ausfinanzierung des Konzepts wichtig

Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter pochte indes darauf, dass eine Reform nicht wegen der Neuwahl auf die lange Bank geschoben wird: "Wichtig ist, dass es ein Pflegekonzept gibt, das auch nachhaltig ausfinanziert ist. Auch bei einer Pflegeversicherung stellt sich die Frage, wer das finanziert." Jedenfalls müssten pflegende Angehörige besser unterstützt werden und wirksame Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel gefunden werden.

"Absurd" findet GPA-Chefin Barbara Teiber den Ansatz, die Pflege über Mittel der AUVA zu finanzieren. Diese brauche ihre Mittel zur besten Behandlung von Unfallopfern: "Die Zuständigkeit für Pflege zur AUVA zu schieben ist so, als würden Sie jemanden mit Bauchschmerzen zum HNO-Arzt schicken, weil der gerade Zeit hat."

Neos: „Denkbar teuerste Variante“ 

Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker meinte in einer Aussendung, dass eine Pflegeversicherung über die Sozialversicherung die denkbar teuerste Variante sei. Die ÖVP-Pläne würden zum selben "Desaster" wie bei den Pensionen führen, nämlich, dass die Zuschüsse aus dem Budget jedes Jahr exorbitant steigen.

Pflege habe selbstbestimmt und flexibel vor Ort stattzufinden und müsse aus Steuermitteln finanziell abgesichert sein, erklärte „Jetzt“-Gesundheitssprecherin Daniela Holzinger-Vogtenhuber. Eine zusätzliche Sozialversicherung werde für alle zusätzliche finanzielle Belastungen bringen.

FPÖ will Bundesgenossenschaft

"Undurchdacht" ist der ÖVP-Vorschlag für SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Denn die Finanzierung könne sich "finanziell niemals ausgehen". Den Betroffenen würden damit Mehrausgaben bleiben. Auch gibt es im ÖVP-Papier nach Meinung von Muchitsch null Verbesserung für Beschäftigte im Pflegesektor: "Da wird nur das Anwerben von Pflegefachkräften im Ausland vorgeschlagen."

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der ehemalige Koalitionspartner der ÖVP, die FPÖ. Deren Chef, Norbert Hofer, nannte die ÖVP-Vorstellungen „unausgegoren. Für ihn stehe fest, dass eine Pflegeversicherung zu Mehrkosten für die Versicherten führen würde. Hofer plädiert vor allem auf die Bereitstellung von genügend Personal und für eine Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung. Die betreuungsbedürftigen Personen könnten mit dem neuen Modell ihre Betreuungspersonen über die Genossenschaft beschäftigen und definieren, wie viele Stunden am Tag Hilfe benötigt wird.

Kritik der Industrie

Wie schon bei der Sozialversicherungsreform bleibe die ÖVP eine glaubwürdige konkrete Finanzierung schuldig, zeigte sich der Vorarlberger Arbeiterkammerpräsident Hubert Hämmerle (FCG) skeptisch. Eine Pflegeversicherung koste Milliarden, die Finanzierung sei jedoch völlig unklar, kritisierte er am Montag in einer Aussendung.

Wenig Gefallen am Finanzierungsmodell zur Pflege findet die Industriellenvereinigung. Deren Präsident Georg Kapsch meinte in einer Aussendung: "Ein schlichter Zugriff auf Dienstgeberbeiträge bzw. Lohnnebenkosten für Erwerbstätige wäre unsachlich und ist daher klar abzulehnen." Überhaupt missfällt Kapsch ein Versicherungsmodell an sich, vielmehr brauche es eine Senkung der Lohnnebenkosten.

Ärztekammer-Präsident: „Sehr kritisch“ 

Eine Finanzierung der Pflege über die AUVA sei ein "Luftschloss", findet wiederum Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl. Den AUVA-Beiträgen von rund 1,4 Milliarden Euro stünden schon derzeit rund fünf Milliarden Euro an öffentlichen Aufwendungen für die Pflege gegenüber. Der Rest soll aber sowieso über das Budget kommen. Ehrlicherweise sollte man dann gleich über eine Steuerfinanzierung reden, meint Anderl und spricht ihren Wunsch nach einer Erbschaftssteuer an.

"Sehr kritisch" sieht die ÖVP-Pläne Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres, der einen Bürokratie-Mehraufwand erwartet. Österreich brauche nicht zwingend eine neue Versicherung neben den vier bestehenden, sondern eine bessere Verteilung der schon bestehenden Mittel sowie Investitionen in Prävention, medizinische Versorgung und eben den Pflegebereich.

Skepsis bei Behindertenvertretern

Ob der ÖVP-Pläne skeptisch zeigten sich Vertreter von Behinderten und deren Angehörigen am Montag. Die Einführung einer solchen Versicherung dürfe nicht dazu führen, dass die Pflegeleistung von der Höhe des Beitrags abhängen würden, erklärten die führenden Köpfe des Behindertenrates, der Interessensgemeinschaft Pflegender Angehöriger sowie der Behindertenanwalt, Hansjörg Hofer.

"Es liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, von dem wir nicht wissen, was gemeint ist. Es ist nicht klar ersichtlich, welche Leistungen damit verbunden sind", sagte der Präsident des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes, Michael Svoboda, bei einer Pressekonferenz. Obwohl er die Einführung einer Versicherung nicht klar ablehnte, warnte er davor, dass es nicht zu unterschiedlichen Leistungen je nach Beitragszahlung kommen dürfe. Hofer sprach sich "prinzipiell für eine Budgetfinanzierung" aus, weil eine Versicherung mit einer höheren Belastung der Betroffenen verbunden sei. Schon bei der Einführung des Pflegegeldes im Jahr 1993 seien die Krankenversicherungsbeiträge erhöht worden, sagte der Präsident des Behindertenrates, Herbert Pichler, in diesem Zusammenhang.

Frauen machen drei Viertel pflegender Angehöriger aus

Unabhängig von der Finanzierung sprachen sich alle Anwesenden bei der Pressekonferenz für bessere Pflegeleistungen aus. Sie forderten unisono eine jährliche Valorisierung des Pflegegeldes ab Pflegestufe 1 - also eine automatische Anpassung der Geldleistung an die Inflation. Das Pflegegeld habe trotz mehrmaliger Erhöhungen seit Einführung 1993 aufgrund der Inflation rund 30 Prozent an Wert verloren, erklärte Hofer. Neben der Erhöhung des Geldes solle auch der Zugang zu Pflegegeld erleichtert werden. Momentan bekommt ein Betroffener erst dann Pflegegeld, sobald er einen Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden hat. Das betrifft 450.000 Menschen in Österreich. Psychisch kranke sowie kognitiv beeinträchtigte Menschen kämen Pichler zufolge schwerer zu Pflegegeld. Diese Gruppen sollten eine Mindesteinstufung bekommen, wenn es nach dem Präsidenten des Behindertenrates geht.

Das Ziel müsse sein, pflegebedürftige Menschen zu Hause betreuen zu können, waren sich die Vertreter einig. Das sei nicht nur im Sinne der Betroffenen, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll, weil pflegende Angehörige dem Staat viele Milliarden Euro ersparten, erklärte die Präsidentin der Interessensgemeinschaft Pflegender Angehöriger, Birgit Meinhard-Schiebel. Damit mehr Menschen zu Hause betreut werden, brauche es neben mehr Geld auch die Möglichkeit, Wohnungen barrierefrei zu machen. Dies scheitere oft an rechtlichen Hürden, erklärte Behindertenanwalt Hofer. Meinhard-Schiebel forderte als Vertreterin der pflegenden Angehörigen einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenz. Dies würde ihrer Meinung nach auch mehr Männer dazu bringen, ihre Angehörigen daheim zu pflegen. Momentan machen Frauen knapp drei Viertel der 950.000 pflegenden Angehörigen aus, heißt auf der Homepage der Interessensgemeinschaft Pflegender Angehöriger.

(APA)

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