Schönborn-Kritik historisch einzigartig

Vorwürfe gegen Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano: Kirchenhistoriker Thomas Prügl kennt keinen vergleichbaren Fall in der Kirchengeschichte.

„Die Presse“: Kardinal Schönborn kritisierte Ex-Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, Ermittlungen in der Causa Groër behindert zu haben: Ein Kardinal greift über die Medien einen anderen Kardinal an – ist das für einen Kirchenhistoriker sehr ungewöhnlich?

Thomas Prügl: Ja, die Medien haben das richtig wahrgenommen – es ist einzigartig, dass sich ein Kardinal so eindeutig über Vorgänge in der Kurie äußert. Wenn so etwas geschieht, deutet das auf eine besonders schwierige Situation hin. Bei einem Kurienkardinal wäre es noch ungewöhnlicher gewesen. Aber seit der Kurienreform von Johannes Paul II. sind auch Kardinäle, die nicht in Rom sind, wichtige Mitglieder in den kurialen Ministerien – mit Schönborn äußert sich also ein Mitglied der Kirchenregierung.

Haben Kardinäle ihre Konflikte früher nie öffentlich ausgetragen?

Prügl: Aus dem 19. und 20.Jahrhundert kennen wir das nicht. Wir wissen aus der Zeit des Nationalsozialismus, dass es im Umgang mit dem Regime Meinungsverschiedenheiten gab, damals haben Bischöfe in Deutschland und Österreich die Situation anders eingeschätzt als die Kurie. Diese Konflikte wurden aber nicht öffentlich ausgetragen. Die Nazis hätten sich in die Hände gespuckt, wenn sie gesehen hätten, dass Vertreter der Lokalkirche gegen die Kurie vorgehen.

Einen „Disput der Kardinäle“ gibt es doch - den zwischen dem Papst, der damals Präfekt der Glaubenskongregation war, und Walter Kardinal Kasper. Sie trugen ihre Auseinandersetzung über die Ökumene 2001 über Zeitungsartikel aus ...

Prügl: Ja, da ging es freilich um eine theologische Frage. Das war ein redlich, durchaus passioniert ausgetragener Streit. Für uns Theologen war es eine ungewöhnliche, ebenso mit gewissen Emotionen verbundene Auseinandersetzung – wenn Kardinäle sich so die Meinung sagen, muss man schon aufhorchen. Jeder hatte damals ein bestimmtes Publikum – Kasper lag daran, dass die Gesprächsgrundlage mit den anderen Kirchen nicht abgerissen wird. Ratzinger wollte das dogmatische Verständnis der Kirche glasklar herausstellen. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, dass es im Kardinalskollegium sehr unterschiedliche theologische Meinungen gibt.

Diese Debatte war aber nicht wirklich feindselig. Welche Umstände, glauben Sie, haben zu einer so einzigartigen Kritik Schönborns an einem Kardinalskollegen geführt?

Prügl: Ich würde es nicht auf einen Machtkampf zuspitzen – auch wenn schon zu fragen ist, was für eine Rolle hier das Verhältnis zwischen Glaubenskongregation und Staatssekretariat, an dessen Spitze Sodano früher stand, spielt. In der Missbrauchscausa gab es erhebliche Pannen, und viele Mitglieder der Kurie sind damit sehr unzufrieden. Außerdem haben Kardinäle, die nicht in Rom sitzen, eine breitere Sicht dessen, was in der Öffentlichkeit passiert. Aber dass es zu so einer Äußerung kommt – da muss der Leidensdruck schon sehr groß gewesen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2010)

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