„Das melancholische Mädchen“: Widerstand – aber ästhetisch

 Von Märchenprinzen lässt sich das melancholische Mädchen (Marie Rathscheck) nicht beeindrucken. Eigentlich lässt sie sich von gar nichts beeindrucken.
Von Märchenprinzen lässt sich das melancholische Mädchen (Marie Rathscheck) nicht beeindrucken. Eigentlich lässt sie sich von gar nichts beeindrucken.(c) Stadtkino
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In Susanne Heinrichs Filmdebüt „Das melancholische Mädchen“ vagabundiert eine entrückte Titelheldin durch eine pastellfarbene Welt – und lässt alles an sich abprallen.

„Kann ich das noch einmal happy haben?“ So fragt die Werberegisseurin das melancholische Mädchen. Also spricht es seine Sätze nochmal in die Kamera. Und klingt genauso wie vorher: ausdrucksarm, wertneutral, lustbefreit. Dabei hat es die Kollegin doch so plastisch vorgemacht: „Ich will nicht länger die Wahl haben zwischen Heiliger und Hure!“ Feministische Floskeln, dazu laszive Bewegungen in hautengen Jeans. Ganz schön sexy, dieser neue Onlineversand! Aber das melancholische Mädchen (Marie Rathscheck) lässt sich nicht vereinnahmen. Mit seiner apathischen Unbestimmtheit leistet es passiven Widerstand. Gegen die „Diktatur der Selbstverwirklichung“. Gegen „posterotische Zeiten“ und die Heilsversprechen neuer Pseudoreligionen. Im schrulligen Schlabberlook, mit Pelzmantel und bunten Socken.

Das melancholische Mädchen ist Hauptfigur des gleichnamigen Debütfilms von Susanne Heinrich. Vergangenen Jänner gewann dieser den Hauptpreis beim Max-Ophüls-Nachwuchsfestival. Kein Wunder: Sein demonstrativer Stilwille und sein kulturkritischer Impetus stechen im ästhetischen Flachland der deutschsprachigen Kinolandschaft deutlich hervor. Kommenden Freitag startet Heinrichs Erstling in Österreich.

Er folgt seiner vagabundierenden Protagonistin, die sich jeder Vereinnahmung durch Blicke und Zuschreibungen entzieht, beim Reigen durch flächig-pastellige Sittengemälde im 4:3-Format. Das satirische Karussell ist in Kapitel unterteilt. Diese tragen Titel wie „Die Dämmerung Utopias“, „Die Gewalt der Liebesmärchen“ und „Überreste der Psychologie“. Die eklatante Künstlichkeit des Geschehens ist Absicht, ein guter alter Verfremdungseffekt.

Feministische Gegenwartsdiskurse

Wo das Mädchen auftaucht, lässt es andere auflaufen. Etwa Mütter beim Baby-Yoga: „Willkommen im neuen Biedermeier!“ Oder den Gesprächspartner in der Kunstgalerie: „Webserien sind gerade ein beliebtes Thema, oder die Flüchtlingskrise – aber da ist es schwierig, den richtigen Ton zu treffen.“ Meditationskult und Drogenrausch bieten für sie nichts als „mystische Ich-Vergessenheit“ zwecks besserer Selbstausbeutung. Männerbetten? Nachtquartiere. Vielen kommt die Undefinierbare komisch vor. Dabei macht sie niemals Witze. Worauf sie wartet? „Ich warte auf das Ende des Kapitalismus.“

Das wirkt schnoddrig, frisch und hip. Dabei ist es schon mal dagewesen. 1962 bummelte Anna Karina in Jean-Luc Godards „Vivre sa vie“ durch Pariser Cafés und Wohnungen, auf der Suche nach Freiheit und Sinn, eine subversive Passionsgeschichte voller Spitzen gegen (Jugend-)Kultur und Mehrheitsgesellschaft. Heinrich hat eine Art Update dieses Films kredenzt – für eine Generation, die beim Onlinedating und im Kreativprekariat ihr Glück (ver-)sucht.

Das melancholische Mädchen ist mit allen Wassern kritischer, feministischer Gegenwartsdiskurse gewaschen. Es kennt und zitiert kluge Bücher: Julia Zanges „Die Anstalt der besseren Mädchen“. Oder „Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens“ vom Tiqqun-Kollektiv. Ihr Film will einer verblendeten Mittelschicht den Spiegel vorhalten. Tut er auch. Nur leider – und das ist seit jeher ein Kernproblem vieler brechtianisch angehauchter Arbeiten ähnlicher Machart – von außen und oben herab.

Auf keinen Fall will die Hauptfigur Projektions- und Identifikationsfläche sein. Letztlich ist sie aber genau das. An ihrer Seite durchschaut man die Blasenwelt der Irregeführten, selbst weiß man natürlich Bescheid. So bleibt der (bei aller Verspieltheit minutiös durchkonstruierte) Film ebenso geschlossen wie die Systeme, die er anprangert. Sei's drum: Immerhin schließen seine Geißelungen an Kinotraditionen an, derer heutzutage nur noch selten gedacht wird. Und werfen am Ende mehr Fragen als auf, als sie Antworten geben. Bisweilen kann ein bisschen Unverfrorenheit ganz gut tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2019)

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