Tauziehen um Migrantenschiff: Kapitänin will 50.000 Euro Strafe in Kauf nehmen

Reuters/NICK JAUSSI / SEA-WATCH
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Das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ hofft seit zwölf Tagen auf die Erlaubnis in einem EU-Land anlegen zu dürfen. Die Kapitänin will sich Italiens Verbot, den Hafen in Lampedusa anzusteuern, nun widersetzen.

Seit 12 Tagen befinden sich 42 Migranten an Bord des Rettungsschiffes „Sea Watch 3“. Und tagelang schon dauert das politische Tauziehen, wer die Menschen aufnehmen soll, an. Denn Italiens Innenminister Matteo Salvini weigert sich ebenso wie andere EU-Staaten, dem Schiff die Anlegeerlaubnis zu erteilen. Er setzt sich seit mehr als einem Jahr für eine Politik der „geschlossenen Häfen“ für private Rettungsschiffe ein. Italien dürfe nicht zum alleinigen Migrations-Hotspot Europas werden, lautet das Argument des Lega-Nord-Chefs.

Hilfsorganisationen sehen das anders: Menschenrechte seien wichtiger als politische Überlegungen, schrieben 40 Nichtregierungsorganisationen am Dienstag in einem Brief an Italiens Premier Giuseppe Conte. Eine Rückkehr der Menschen in das Krisenland Libyen sei keine Option.

Nun will auch die Schiffskapitänin, Carola Rackete, handeln: Sie hat sich bereit erklärt, die Flüchtlinge trotz italienischen Verbots auf die Insel Lampedusa zu bringen. Sie habe keine andere Wahl, sagte sie im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica" (Dienstagsausgabe). Dabei droht ihr die Zahlung einer Geldstrafe von 50.000 Euro. Das Schiff wird konfisziert werden, sollte sie einen italienischen Hafen anfahren.

"Ich weiß, dass mir eine Strafe und eine Untersuchung droht. Ich bin aber für 42 Personen verantwortlich, die ich im Meer gerettet habe und die diesen Zustand nicht mehr aushalten können“, sagte sie. Die Lage an Bord sei extrem schwierig. Einige Migranten hätten mit einem Hungerstreik gedroht, andere wollten ins Meer springen. "Sie fühlen sich wie in Haft. Italien zwingt mich, sie auf einem Schiff zu halten, mit weniger als drei Quadratmeter Raum pro Kopf", sagte Rackete. An Bord würden sich Minderjährige im Alter von elf, 16 und 17 Jahren befinden.

Salvini weist Angebot von Turiner Bischof zurück

Noch aber wolle sie eine Reaktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abwarten, meinte Rackete. Dort hatte die Flüchtlingsorganisation Sea-Watch am Mittwoch einen Antrag eingebracht, mit der Bitte „provisorische“ Maßnahmen zu ergreifen, um von Italien die Aufnahme der Menschen zu erwirken.

Salvini reagierte auf die Ankündigung von Rackete unnachgiebig: "Die Sea-Watch nutzt seit 13 Tagen 42 Menschen zu ihren politischen Zwecken. Das ist politische Provokation", so Salvini. Er beschuldigte die deutsche NGO, das Leben der Migranten an Bord auf Spiel zu setzen. "Die niederländischen Behörden haben uns recht gegeben, behaupten aber, die Migranten seien nicht ihr Problem", erklärte der Lega-Chef und Vizepremier bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Rom.

Salvini hält an seiner Einwanderungspolitik der "geschlossenen Häfen" fest. "Von mir aus kann die ́Sea-Watch 3 ́ bis Weihnachten auf See bleiben. In Italien landet sie nicht", erklärte Salvini. Sollte die deutsche Kapitänin das Schiff nach Italien führen, drohe ihr eine Geldstrafe von 50.000 Euro, sowie die Konfiszierung des Schiffes. "Italien lässt sich nicht die Einwanderungsregeln von einer NGO diktieren, die wer weiß wer zahlt", erklärte der Innenminister.

Salvini hatte zuvor auch ein Angebot des Bischofs der norditalienischen Stadt Turin zurückgewiesen, die Migranten aufzunehmen. "Lieber Bischof, Sie können das Geld der Diözese für 42 Italiener in Schwierigkeiten verwenden. Unsere Häfen bleiben für diejenigen geschlossen, die die Gesetze nicht respektieren", schrieb Salvini auf Facebook.

340 Tote in diesem Jahr

Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk meldete sich in dem Fall bereits zu Wort und appellierte an die Länder Europas, die Migranten aufzunehmen. Auf der Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer seien in den zwölf Monaten vor dem 11. Juni mehr als 1150 Menschen ums Leben gekommen. In diesem Jahr seien es bereits mehr als 340 gewesen. Die Route sei für Migranten die gefährlichste der Welt. Rettung auf See sei eine seit Jahrhunderten geltende Pflicht, sagte ein Sprecher des UNHCR. Das beinhalte nicht nur die unmittelbare Rettung aus dem Meer, sondern auch, dass die Menschen sicher an Land gebracht würden. 

(APA/red.)

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