Aldeburgh Festival: Bregenz zu Gast in Suffolk

Elgan Llŷr Thomas als Tom Rakewell, Yannis Francois als Nick Shadow in „The Rake's Progress“.
Elgan Llŷr Thomas als Tom Rakewell, Yannis Francois als Nick Shadow in „The Rake's Progress“.(c) Beki Smith
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Das Festival wurde heuer mit Karl Markovics' Inszenierung von Thomas Larchers „Jagdgewehr“ eröffnet, die schon bei den Bregenzer Festspielen gezeigt wurde.

„A gifted lady never need have fear“, verkündet die mit einem im Showbusiness einträglichen Damenbart gesegnete Baba the Turk in Igor Strawinskys ironisch-klassizistischer Oper „The Rake's Progress“. So gesehen muss Barbara Hannigan weder Tod noch Teufel fürchten – und Letzteren schon gar nicht, der hier als Nick Shadow auftritt, den sie aber genauso zu zähmen versteht wie das Ludwig Orchestra und ein Nachwuchsensemble, aus dem Fleur Barrons witzige Baba und Elgan Llŷr Thomas als Tom Rakewell hervorragen. Wobei zähmen das falsche Wort ist: Unter Hannigans animierender Leitung regieren die knusprigen Rhythmen und frischen, wenn auch etwas bass- und blechlastigen Farben.

Eine „gifted lady“ im Dauereinsatz, drückte die Dirigentin und Sopranistin den letzten Tagen des 72. Aldeburgh Festival im englischen Suffolk ihren Stempel auf. Hier haben einst Benjamin Britten und sein Lebenspartner, der Tenor Peter Pears, in ihrer unmittelbaren Heimat Musikfestspiele aufgezogen, die ganz aus dem Ambiente entwickelt sind, das bis heute wundersam der Welt abhanden gekommen scheint und doch „down to earth“ geblieben ist.

Opernpremiere: „Jagdgewehr“

Dafür, dass dieser Geist fortlebt, der das Unaufgeregte mit dem künstlerisch Besonderen verbindet, sorgt seit 2014 Roger Wright – mit einem bunten und dennoch konzisen Programm. Da wirkt es ganz normal, dass ein kluger Pianist wie Karim Said zwischen Wiener Schule und William Byrd nebst Konsorten hin und her springt (ein Effekt, der sich etwas abnützt); da wundert niemanden, dass Hannigan das Ludwig Orchestra zuerst in einer zucker- und schlagobersreduzierten, quasi Vollkorn-Lesart von Schönbergs „Verklärter Nacht“ leitet, um danach unter Steven Schick Gérard Griseys letztes Werk zu singen, die ans Ende von Leben und Welt rührenden „Quatre chants pour franchir le seuil“, beides eingerahmt von Bach'schen Cellosuiten in Alisa Weilersteins wachsweichem Ton.

Die Opernpremiere zur Eröffnung galt heuer Thomas Larchers „Jagdgewehr“ in der Uraufführungsproduktion der Bregenzer Festspiele 2018 (die „Presse“ berichtete), inszeniert von Karl Markovics, der dafür soeben mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet wurde. Die Musik des Tirolers blieb auch darüber hinaus im Fokus. In „IXXU“ etwa, gespielt vom Ardeo Quartet, wartet er mit Überraschungen auf, die sich hinterher als organisch entwickelt entpuppen: Klangkaskaden, Ostinati, Jaulen, Seufzer, Wildheiten, ein Walking Bass. Was in pittoresker Zerstreutheit beginnt, scheint sich zunehmend in musikalische Archäologie zu verwandeln – bis hin zur Entdeckung eines emotional aufgeladenen Chorals. Wenige Stücke fügen sich zudem spontan so glücklich ins Marschland rund um Snape ein wie der Beginn von Larchers Cellokonzert „Ouroboros“, benannt nach der mythischen Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Da scheint nämlich der Wind durchs Schilf zu streifen – und damit eine Geschichte anzustoßen, bei der Naturlaut und tiefere Bedeutung eins werden. Cellokantilenen entschweben in stratosphärische Höhen und werden von gewaltsamen Ausbrüchen bedroht, doch immer wieder atmet die Musik auf kreatürliche Weise, sie stöhnt und seufzt in Harmonien, die vom Weltschmerz erzählen oder vom Schmerz der Welt. Mit Weilerstein und dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Edward Gardner hinterließ das einen weitaus tieferen Eindruck als Stephen Houghs irritierend oberflächliche Lesart von Beethovens 4. Klavierkonzert zuvor.

Direkt aus der Quelle schien Aldeburghs Herzblut freilich in der Pfarrkirche hervorzusprudeln – mit der anwesenden Dichterin Fiona Sampson und ihrer bewegenden Antwort auf Thomas Hardys Schaffen, das Britten in „Winter Words“ verewigt hat: Mark Padmore erfüllte diesen Liederzyklus mit aller Weisheit und Leidensfähigkeit seines reifen Tenors. Angesichts dieses von Andrew West am Klavier betreuten, überwältigenden Kleinods blieb mit Gershwins „I Got Rhythm“, das Hannigan abends als Finale schmettern sollte, nur die Frage: Who could ask for anything more?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2019)

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