Blue Note: Jazz mit bedrohlicher Note

Blue-Note-Gründer Alfred Lion (l.) und Francis Wolff (r.) mit  dem Saxofonisten Dexter Gordon.
Blue-Note-Gründer Alfred Lion (l.) und Francis Wolff (r.) mit dem Saxofonisten Dexter Gordon.(c) Blue Note
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Vor 80 Jahren wurde das Label Blue Note gegründet. Der Jazz, der Mitte der Sechziger dort erschien, spiegelte das Aufkommen der Protestkultur: zu hören auf einer neuen CD.

Blue Note, das 1939 von den deutschen Emigranten Alfred Lion und Francis Wolff gegründete Jazzlabel, feiert heuer seinen Achtziger. Dazu sind keine Galaabende angesetzt – anders als zum 75er. Damals wurde „Die Presse“ Zeuge von abenteuerlichen musikalischen Begegnungen im Kennedy Center in Washington. Da spielte etwa Wayne Shorter in der Band von Norah Jones. Veteranen wie Lou Donaldson, Bobby Hutcherson und Dr. Lonnie Smith begaben sich in Dialog mit jüngeren Kräften wie Jason Moran und Robert Glasper. Im heurigen Jubiläumsjahr hingegen hat Labelchef Don Was kaum nennenswerte Aktionen gesetzt, sieht man von einer Blue-Note-Kreuzfahrt zu Beginn des Jahres ab.

Das Blue-Note-Goodie des Jahres kommt aus anderer Werkstätte. Der Brite Gerald Short, einst Plattenhändler auf dem Markt in Camden, hat viele Raritäten neu aufgelegt und zu aufregenden Serien verbunden. Eine davon nennt sich „Spiritual Jazz“ und hat obskuren Jazz jeglicher Provenienz zum Thema. Short forschte dafür in Osteuropa ebenso wie in Japan. Für Folge 9 konzentrierte er sich auf das renommierte Label Blue Note. Genauer gesagt auf die Jahre 1964 bis 1966. Das eine Jahr steht für den größten Hit der Alfred-Lion-Jahre, das andere markiert den Verkauf des Labels an Liberty Records. Damit ging die fruchtbare Arbeit eines gloriosen Quartetts zu Ende, das neben den Herren Lion und Wolff auch aus Designer Reid Miles und Toningenieur Rudy Van Gelder bestand.

Various Artists compiled by Gerald Short: „Spiritual Jazz Vol. 9“ Jazzman Records
Various Artists compiled by Gerald Short: „Spiritual Jazz Vol. 9“ Jazzman Records(c) Beigestellt

Vom bloßen „Schwing“ zum Protest

Die für „Spiritual Jazz Vol. 9“ ausgesuchten Stücke spiegeln auch Veränderungen in der US-Gesellschaft. Das Civil Rights Movement, die Protestkultur färbten auf die Musik ab. Jetzt ging es um mehr als bloß um den „Schwing“, den der gebürtige Berliner Lion ursprünglich förderte. Lion selbst heuerte Freitöner wie Cecil Taylor, Eric Dolphy und Don Cherry fürs Label an. Sie ließ Short nun für seine aus zwei CDs (respektive vier LPs) bestehende Zusammenstellung aus. Vibraphonist Bobby Hutcherson eröffnet mit „Verse“ – eine komplexe Meditation, die zeigt, wie sehr die gesellschaftlichen Umbrüche die Musik jener Jahre beeinflussten. Bedrohliche, zuweilen missmutige Untertöne konterkarieren die Schönheit dieser Musik und lassen sie zugleich erst recht erstrahlen. Eine Ästhetik des Trotzdem.

Auch Pete La Rocas „Basra“ adelt seine grundsätzliche Süße mit majestätischer Herbheit in Gestalt von Soli des Saxofonisten Joe Henderson und des Pianisten Steve Kuhn. Die bekanntesten Stücke auf „Spiritual Jazz Vol. 9“ sind Wayne Shorters „Footprints“ und Duke Pearsons „The Phantom“. Letzteres ist trotz seines eher behäbigen Tempos ein beliebter Titel auf Jazz-Dancefloors, einfach weil Pearsons Klavier und Bobby Hutchersons Vibraphon darauf so bestechend kristallin zusammenklingen. Dazu kommt afrokubanische Perkussion.

Frauenchor und Orchestersamt

Sehr schön auch die übrigen Titel von Duke Pearson, das hintersinnig groovende „Empathy“ sowie das spirituelle „Cristo Redentor“, das mit Frauenchor und Orchestersamt beglückt. Schöne resche Themen variieren zudem Saxofonisten wie Jackie McLean und Joe Henderson. Alfred Lions Lieblingspianist, der nachdenkliche Andrew Hill, ist ebenso mit von der Partie wie Trompeter Freddie Hubbard, der sich von seiner ersten Blue-Note-Gage ein Auto und zwei neue Anzüge kaufte, wie er in Julian Benedikts wieder auf DVD erhältlicher Blue-Note-Dokumentation begeistert sagt. Interessant sind auch die Stücke, die auf die afrikanischen Wurzeln des Jazz verweisen. Etwa das elegische, von munteren Trommeln aufgelockerte „Ugbesi Aiye“ von Solomon Ilori und seinem Afro-Drum-Ensemble, das 1963 bei seinem Erscheinen ein wenig irritierte. Heute erkennt man Parallelen zu Art Blakeys Trommelkunst. Unangreifbare Qualität!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2019)

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