Insektensterben: Wie das große Flattern zurückkehrt

Das markante Tagpfauenauge sieht man in ganz Österreich noch regelmäßig.
Das markante Tagpfauenauge sieht man in ganz Österreich noch regelmäßig. (c) Getty Images (Jasenka Arbanas)
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Auch, wenn derzeit Millionen Schmetterlinge anderes vortäuschen, das Artensterben erreicht dramatische Ausmaße. Wie sich das bis 2030 ändern soll, zeigt ein neuer Bericht.

Wien. Auf den ersten Blick ist heuer ein gutes Jahr für Schmetterlinge. Auf Wiesen, in Gärten, neben Straßen sieht man unzählige Schmetterlinge, bisweilen ganze Wolken in Braun-Orange-Schwarz: Die Distelfalter.

„Das ist eine gefährliche Täuschung. Viele glauben, den Schmetterlingen geht es wieder gut, weil man so viele sieht wie lange nicht“, sagt Schmetterlingsforscher Peter Huemer von den Tiroler Landesmuseen. Dabei sind es nur die Distelfalter, die derzeit in Massen auffallen: Geschätzte fünfzig Millionen solche Falter sind es derzeit in Österreich.
Sie wandern eigentlich aus der afrikanischen Sahelzone in den Norden Europas. Heuer sind die Bedingungen aber offenbar so, dass zum einen die Population extrem hoch ist und die Wanderfalter nicht weiterfliegen. Das ist zuletzt vor rund 15 Jahren vorgekommen, so Huemer.

Das täuscht ein gutes Schmetterlingsjahr vor – das 2019 für die heimischen Arten aber definitiv nicht ist. Der kühle und sehr feuchte Mai war für Schmetterlinge „ausgesprochen schlecht“, die Raupen oder Falter wurden in ihrer Entwicklung gestört, die hat sich verzögert – oder die Tiere sind verendet. So weit sich das schon sagen lässt, so Huemer, werde es heuer weniger Schmetterlinge geben als in anderen Jahren. Beziehungsweise, sie sind in ihrer Entwicklung einige Wochen später dran als in anderen Jahren.

Dabei steht es um die Schmetterlinge – wie um Insekten generell – bekanntlich schlecht. Die Zahl der Schmetterlinge in Österreich hat sich seit 1990 etwa halbiert. Viele Arten sind ausgestorben, bei anderen beliebten Arten ist der Rückgang dramatisch: Schweizer Forscher, so Huemer, haben etwa herausgefunden, dass es vom Zitronenfalter noch ein Prozent im Vergleich zu vor 100 Jahren gibt.

Mit dem stillen Tod der Schmetterlinge haben sich unter Huemers Leitung in den vergangenen drei Jahren auch die jährlichen Reports „Ausgeflattert“ befasst. Der heurige Bericht dieser Reihe der Umweltschutzorganisation Global 2000 und der Initiative Blühendes Österreich (hinter dieser steht der Rewe-Konzern, damit die Handelsketten Billa, Merkur, Bipa usw.) soll nun neue Wege aufzeigen: Der Bericht heißt „Aufgeflattert“ – und statt Hiobsbotschaften vom Artensterben geht es um Visionen und Strategie, damit die Schmetterlinge zurückkehren.

Das sechste große Artensterben

Bis 2030 sollen die Wiesen wieder bunt blühen und es soll darin summen und flattern, wie viele es nur noch aus der Kindheit kennen. Zehn Experten aus Wissenschaft, Biodiversitäts- und Umweltschutz sowie Landwirtschaft haben nun also unter der Leitung von Huemer und dem Ökologen Johannes Rüdisser (Universität Innsbruck) eine Vision skizziert, wie sich Biodiversität entwickeln und das Artensterben gestoppt werden kann. Denn die Situation sei dramatisch: Rüdisser spricht von der „sechsten großen Massenaussterbezeit“ der Weltgeschichte. Die fünfte solche Periode war das Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren – wir erinnern uns, die Sache mit den Dinosauriern. Derzeit sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht, davor warnt auch der jüngst erschienene Bericht des UN-Biodiversitätsrat IPBES.

Die üblichen Raten des Verschwindens von Arten, so Rüdisser, seien derzeit um das 100- bis 1000-fache überschritten. Aber, der drohende Kollaps der Biodiversität sei noch zu stoppen, und da fordern die Experten im „Aufgeflattert“-Bericht eine Reihe von Maßnahmen – radikale Maßnahmen. „Wir sprechen noch immer von Pilotprojekten und Einzelmaßnahmen, das ist lange nicht mehr zeitgemäß“, sagt Renate Christ, eine der Autorinnen. Christ war Generalsekretärin des UN-Klimarates und gilt als führende Klimaexpertin. Um eine klimaschonende Lebensweise bis 2030 umzusetzen, müsse man das ganze System „climate-proof“ machen – also jegliche politische Maßnahme, von Energie, Raumplanung, bis Steuern, auf Klimaverträglichkeit prüfen.

Umweltmusterland? Nein!

Wie sieht ein System aus, in dem die Schmetterlinge wieder fliegen? 2030 sollte sich etwa, so die Vision in dem Bericht, die Landnutzung am Ziel orientieren, die Ökosystemleistungsbilanz (eine Größe ähnlich dem Bruttosozialprodukt) voranzutreiben. Der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft wird stark eingeschränkt, Agrarsubventionen orientieren sich an Zielen einer nachhaltigen Landwirtschaft.

Alle neuen Gesetze, Erlässe, Förderungen und Steuern werden überprüft, ob sie mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sowie der 2020 Aichi-Biodiversitätsziele (die wurden 2010 zur Umsetzung der UN-Konvention zur Biodiversität festgelegt) übereinstimmen. Bis 2030 hat sich, so die Vision, die Fläche der Naturschutzgebiete verdoppelt, und sie werden zum Wohle der Insekten gemanagt. Auch in Städten findet man dann mehr heimische Blühpflanzen und insektenfreundliche Grünflächen. Überhaupt haben Bestäuber höheren Schutzstatus. Zum Schutz der Insekten wird für weniger Lichtverschmutzung (die stört die meist nachtaktiven Tiere massiv, auch ihre Bestäubungsleistung) gesorgt.

Bei diesen und anderen Zielen nehmen die Autoren die Politik in die Pflicht, denn der Handlungsbedarf sei groß. „Österreich sieht sich gern als Umweltmusterland, tatsächlich sind wir davon weit entfernt, beim Klimaschutz sind wir im unteren Drittel“, sagt Renate Christ – und spricht die komplexen Zusammenhänge zwischen Klimaveränderung und Biodiversität an. Österreich könne viel von anderen Ländern lernen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2019)

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