Ukraine: Die Sockel der Leere

(c) Mumok/Klau Pichler
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Der ukrainische Künstler Nikita Kadan fordert einen neutralen Blick auf die verfolgten Avantgardisten unter den sowjetischen Propagandakünstlern.

Ein wenig verloren steht der blasse junge Mann im Untergeschoß des Mumok, auf seinem Kopf eine georgische Filzmütze, wie er einem später erklärt. Hinter ihm, fix und fertig in der „Factory“, seine erste Einzelausstellung in Österreich. Nikita Kadan gehört zu den erfolgreichsten ukrainischen Künstlern seiner Generation. 1982 in Kiew geboren, studierte er Monumentalmalerei an der Kunstakademie und begann sich politisch zu engagieren – bei interdisziplinären kuratorischen Gruppen wie „Revolutionary Experimental Space“ oder „Hudrada“. Durch die auch stark von Künstlern getragene Maidan-Revolution 2013 bekam diese Szene auch international größere Aufmerksamkeit. Als „politischer Aktivist“, wie der Künstler im Mumok-Wandtext auch angekündigt ist, sieht er sich allerdings nicht mehr. „Das war früher“, sagt er. Und nein, die auffällige Kopfbedeckung sei kein politisches Symbol, ihm sei hier unten nur kalt gewesen.

Zugegeben, man wittert in diesem geopolitischen Umfeld schnell Protest- oder Solidaritätsbekundungen, etwa mit dem ebenfalls von Russland teilannektierten Georgien. Schnell merkt man aber auch, wie schwierig es ist, konzeptuelle Kunst, die derart subtil mit der nationalistischen und ideologischen Symbolgeschichte eines anderen Kulturkreises arbeitet, richtig einzuschätzen. Die Skepsis, hier mittels einer ästhetischen Diskussion ideologisch für etwas vereinnahmt zu werden, dessen historische Details man nicht kennen kann, muss daher bleiben.

Ein wachsender Ruinenpark

Was zeigt Kadan also? Eine schlichte, monumentale Installation mehrerer betonüberzogener Holzmodelle von Sockeln ehemaliger kommunistischer Propaganda-Skulpturen der 1920er-Jahre aus der Ukraine. Dazu muss man wissen, dass die Sockel diesem Land einen wachsenden Ruinenpark bescheren – als stumme Zeugen einer in Bezug auf den Kommunismus nur Schwarz und Weiß kennenden Politik. Kadan aber geht es um einen aktiven Umgang mit Geschichte, darum, ein Bewusstsein für diese Vergangenheit in der ukrainischen Gesellschaft zu schaffen, deren Vernichtungswut schon zweimal über diese Denkmäler hinweggefegt ist: nach dem Ende der Sowjetunion und nach der Maidan-Revolution, als Präsident Petro Poroschenko die „Dekommunisierung“ des öffentlichen Raums ein besonderes Anliegen war.

Seit 2014/15 wurde so ein Denkmal nach dem anderen abgerissen, erzählt der Künstler. Dabei war auch einiges von internationaler kunsthistorischer Bedeutung aus der vorstalinistischen Zeit, als der russische bzw. ukrainische Konstruktivismus in der Kunst führend war. Kadans Sockel, die wie geometrisch-abstrakte Skulpturen für sich stehen, erzählen davon. Und auch davon, wie man in der jüngsten ukrainischen Geschichte daran scheiterte, sich diese Kunstgeschichte nutzbar zu machen – etwa als eine Gruppe (vergeblich) versuchte, den Kiewer Flughafen nach dem in Kiew geborenen Konstruktivisten Kasimir Malewitsch umzubenennen.

Es sind aber zwei andere Leitfiguren dieser Avantgarde, die auch Propaganda schuf, die Kadan der Verdrängung entreißen will – Ivan Kavaleridze (1887–1978) und Vasyl Yermilov (1894–1968). Als Symbol für einen neutralen Blick auf sie hat Kadan einen Revolutionsdenkmal-Entwurf Yermilovs nachgebaut: Statt in ideologischer Farbigkeit zeigt Kadan die abstrakte Komposition aber in unschuldigem Weiß. Und macht sie so zu einem Mahnmal aller gescheiterten Revolutionen, wenn er darauf ein paar durch Kriegshitze verschmolzene Porzellantassen legt. Wie welke Blumen.

„Project of Ruins“, Mumok, MQ, bis 6. 10., Mo. 14–19 h, Di.–So. 10–19 h, Do. 10–21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2019)

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