Der US-Präsident dominiert die Agenda in Osaka. Viele Divergenzen überwiegen globale Gemeinsamkeiten.
Die Delegierten des G20-Gipfels führender Industriestaaten und Schwellenländer – inklusive Regionen und internationaler Organisationen sind es 37 Teilnehmer – haben sich in Osaka erst einmal ohne Eklat an einem runden Tisch versammelt. So weit, so gut. Aber wie lassen sich so viele, oft diametral auseinanderlaufende Interessen auf einen gemeinsamen Nenner bringen?
Auch wenn es dem tieferen Sinn eines solchen Megagipfels eigentlich widerspricht – wirklich tragfähige Lösungen in dringenden Fragen wie zum globalen Handel, regionaler Sicherheit und Klimarettung lassen sich am Ende vermutlich nur bilateral ausloten. Dem Gastgeber, Japans Premierminister Shinzō Abe, bleibt dabei die schwierige Rolle des Mediators und Koordinators. Hauptdarsteller auf dieser politischen Bühne der nationalen Vorteilssuche ist erwartungsgemäß US-Präsident Donald Trump. Seine Tagesordnung stellt die Weichen dafür, welche Themen in Osaka wichtig sind und wer die Gnade eines Vieraugengesprächs erhält.
So konferierte Trump am Freitag mit Russlands Präsident, Wladimir Putin, über Abrüstungsfragen und Rüstungskontrolle – ein Problem, bei dem sie China noch miteinbeziehen wollen. Über neuerlich befürchtete Einmischungen Russlands in den amerikanischen Wahlkampf wurden von den beiden nur Scherze gemacht.
Merkel plötzlich „Freundin“
Zuvor hatte Trump überraschend die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, umgarnt. Diese nahm mit verblüffter Mine zur Kenntnis, dass sie der US-Präsident anstelle seiner üblichen Abneigung als „fantastische Frau“ und „Freundin“ begrüßte.
Solche Schmeicheleien können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Amerikaner im Vorfeld wieder einmal ungehalten auf Berlin eingeprügelt hat. Deutschland habe „schlimmere Handelsbarrieren aufgebaut als China“, sagte er in einem Interview mit dem TV-Sender Fox Business. Trump kritisierte dabei auch den Energie-Deal mit Russland: „Sie bezahlen einen politischen Feind.“
Wenn es Trump gefällt, werden selbst enge Partner zu potenziellen Gegnern. Schon vor seiner Abreise aus Washington wetterte der US-Präsident gegen die militärische Allianz mit Japan in der jetzigen Form. Der Militärpakt sei ein schlechter Deal, asymmetrisch zulasten der USA. Insider des Weißen Hauses hatten der Nachrichtenagentur Bloomberg anonym gesteckt, Trump erwäge einen Ausstieg aus dem mehr als 60 Jahre alten „Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit“.
Beim Meinungsaustausch mit Shinzō Abe musste er erklären, was mit solchen Einlassungen gemeint ist: „Sollte Japan angegriffen werden, werden wir den Dritten Weltkrieg ausfechten. Wir werden kommen und sie mit unseren Leben und mit unseren Kräften schützen. Aber wenn wir angegriffen werden, muss Japan den USA nicht helfen. Sie können das alles zu Hause in aller Ruhe auf einem Sony-Fernseher anschauen.“
Bei aller Rhetorik stimmten beide Politiker am Ende überein, dass die Verteidigungsachse Tokio-Washington nach wie vor sehr robust sei und nicht zur Disposition stehe. Aber schon am ersten Gipfeltag zeigte sich, dass schwer zu definieren ist, wer in Osaka Freund und wer Feind ist.
Richtig spannend wird es, wenn Trump sich am heutigen Samstag mit dem chinesischen Staats- und Parteichef, Xi Jinping, trifft. Von „Burgfrieden“ war im Vorfeld die Rede, was aber nicht gerade nach sofortiger Verständigung und Lösung des bilateralen Handelsstreits klingt.
Shinzō Abes Warnung
Der Fokus auf bilaterale Treffen verdeckt, dass die Konfliktlinien dieses G20-Gipfels weit vielschichtiger verlaufen. In zwei kurzen Verhandlungsrunden – immer wieder unterbrochen durch repräsentative Essen und Kulturevents – müssten auch brennende Themen wie der Syrien-Konflikt, die Spannungen am Persischen Golf, Digitalisierung, Innovation, alternde Gesellschaft, Entwicklungshilfe, Umwelt und Klima sowie Energie aufgearbeitet werden, um ein einigermaßen tragfähiges Abschlussdokument vorlegen zu können.
Aber vielleicht wird am Ende auf die nachdrückliche Warnung des Gastgebers gehört: „Wir wollen ein Treffen, das auf Themen ausgerichtet ist, bei denen wir Übereinstimmung und Kooperation erzielen können, anstatt die Differenzen in den Vordergrund zu rücken“, forderte Shinzō Abe. „Die internationale Lage ist sehr ernst. Wenn die G20 auseinanderbrechen – sei es auf dem Feld der Ökonomie oder der Sicherheit –, ist es mit diesem Forum endgültig vorbei.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2019)