15. Mai 1955: Die österreichische Heldenlegende

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Vor 55 Jahren jubelte ein Land über seine Freiheit – und die Welt freute sich mit ihm. Am 26. Oktober 1955 erklärte der Nationalrat dann feierlich Österreichs Neutralität.

Vom 11. bis 15. April 1955 handelte Österreichs Regierungsdelegation (Raab, Schärf, Figl, Kreisky) in Moskau den legendären Staatsvertrag aus, der dann vor 55 Jahren, am 15. Mai, in Wien unterzeichnet wurde. Militärische Bündnisfreiheit verlangten die Sowjets; dafür versprachen sie den Abzug ihrer Besatzungstruppen, die seit 1945 – mit den USA, Großbritannien und Frankreich – das Land beaufsichtigt hatten. Teure Ablöselieferungen (Erdöl, Donauschifffahrt) waren der Kaufpreis für die Freiheit. Botschafter Ludwig Steiner war als Raabs Kabinettschef dabei.

Eine Nation saß gebannt vor dem Radioapparat, als Österreichs Delegation am 15. April wieder auf dem Flugplatz von Bad Vöslau landete und der vierschrötige, respektgebietende Kanzler Julius Raab – nach einem „Dank an den Herrgott“ – den Landsleuten jubelnd zurufen konnte, dass Österreich frei werde. Tags darauf stürzten wir uns auf die Zeitungen, um nachzulesen, dass das Wirklichkeit war, was da „im Radio“ gesagt wurde.

Vom 11. bis 13. Mai dauerte dann die letzte Runde der Botschafter der vier Besatzungsmächte in Wien. Und zwar am Sitz der Hochkommissare, am „Stalinplatz 4“, vormals und auch heute wieder „Schwarzenbergplatz“. Es ist dies das Palais der Österreichischen Industriellenvereinigung. Auch mit den USA und England mussten knifflige Eigentumsfragen der Erdölgesellschaften abgeklärt werden.

Am 14. Mai errichtete die Sowjetunion ihr östliches Militärbündnis als Gegengewicht zu dem bereits bestehenden Nordatlantik-Pakt Nato, den „Warschauer Pakt“. Übrigens weitgehend unbeachtet von den österreichischen Medien, die schon in Walzerseligkeit schwebten.

Denn am 15. Mai jubelte ein ganzes Land– und die Welt freute sich mit ihm. Der äußerst kurze und gar nicht festliche Akt im Schloss Belvedere, die Unterschrift der fünf Außenminister, machte Österreich – nach 17 Jahren Unfreiheit – wieder souverän. Als Letzter siegelte Leopold Figl das dicke Konvolut und unterzeichnete mit grüner Tinte. „Österreich ist frei!“ Dieser Jubelruf wurde von den Lautsprechern in den weiten Schlosspark übertragen.

Tedeum im Dom

Dort harrte eine vieltausendköpfige Menge. Es dürften etwa 20.000 Menschen gewesen sein, schätzte man. Sie winkten hinauf zu dem Schlossbalkon, wo sich die Außenminister und Österreichs Superstars zeigten, koalitionär vereint. Am glücklichsten wirkte Figl, das war „sein“ Tag. Selbst der sonst so finstere Sowjetmensch Molotow zwang sich zu einem Lächeln. Schon am Vorabend gab's Festbeleuchtung in der Stadt, Festgottesdienst, ein Galadiner für die Staatsgäste in Schönbrunn.

Am 7. Juni 1955 ratifizierte der Nationalrat den Staatsvertrag. Fast hätte es eine Panne gegeben: Bei 164 Abgeordneten stand das „Ja“ von vornherein fest. Nur der 165. war dagegen. Ein „wilder Abgeordneter“ von ganz rechts: Fritz Stüber wollte sich dem „Diktat der Siegermächte“ nicht beugen: Hier werde ein Keil zwischen Bundesdeutsche und Österreicher getrieben. Um aber die Einstimmigkeit im Hohen Haus zu sichern, verließ Stüber vor der Abstimmung den Saal.

Der letzte Soldat war längst weg

Am 27. Juli trat der Vertrag in Kraft, nachdem die französische Ratifikationsurkunde als letzte in Moskau hinterlegt wurde: Die 90-tägige Frist für den Abzug der Besatzungstruppen begann zu laufen. Noch eine letzte Sitzung des „Alliierten Rates“ am Stalinplatz, dann die Auflösung der Alliierten Kommission für Österreich.

Am 26. Oktober 1955 – der letzte Besatzungssoldat war längst außer Landes – erklärte der Nationalrat feierlich Österreichs Neutralität. Das war die Gegenleistung für die Souveränität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2010)

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