Thom Yorke: Mit Schopenhauer im Rinnsal schwimmen

Thom Yorke: Anima
Thom Yorke: Anima(c) XL Recordings
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Weltschmerz. Radiohead-Sänger Thom Yorke fühlt sich immer noch nicht wohl in der Welt. Das klingt auf seinem Soloalbum „Anima“ wie gehabt. Nur der Jazz kann ihn vor der Altersdepression retten.

„Goddamm machinery, why don't you speak to me?“, singt Thom Yorke: „One day I am gonna take an axe to it.“ Ja, auch ein Mann, der sich große Meriten für die Akzeptanz elektronischer Geräte in der Rockmusik erworben hat, muss sich manchmal über deren Faxen ärgern . . .

Wobei man das nicht hört. Thom Yorke klingt nie zornig. Immer nur betrübt und irgendwie körperlos. Und das seit einem Vierteljahrhundert, seit er 1993 mit seiner Band Radiohead die Verliererhymne „Creep“ gesungen hat, die kalmierte Version von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“. Sieben Jahre später hatte er sein Nirwana gefunden: Im Song „How to Disappear Completely“ auf „Kid A“ ließ er sein Ich im allgemeinen Treiben verschwinden. Dabei blieb es: Keine Band hat die Schopenhauersche Philosophie so konsequent umgesetzt wie Radiohead. Ihre Welt tat weh, und das gefiel vielen jungen Leuten, die Ähnliches spürten. So vollendeten sie den Alternative Rock, er hat sich bis heute nicht davon erholt.

„Yesterday I woke up sucking on a lemon“, sang Thom Yorke damals, umhüllt von unheimlichen Stimmen, ebenfalls auf „Kid A“. Saurer kann man's nicht sagen. Heute, in einem Stück mit dem fatalistischen Namen „Last I Heard ( . . . He Was Circling the Drain)“, singt er, stimmlich umflort von Kopien seiner selbst, „I woke up with a feeling that I just can not take.“ Dann schwimmt er davon durchs Rinnsal.

Der Vergleich der zwei Songs, zwischen denen immerhin 19 Jahre liegen, ist, nun ja, niederschmetternd: Dieser Mann ist seiner jugendlichen Trübsal treu geblieben, diese hat sich nur ein bisserl abgeschwächt, ist ergraut, verblasst. Weltschmerz in Light-Version sozusagen. „I can't breathe, there's no water“, singt Thom Yorke schon im ersten Stück, man will ihm das ja glauben, aber hat er sein Unbehagen nicht schon viel intensiver ausgedrückt? Es ist keine Weisheit dazugekommen, nicht einmal Selbstironie, auch wenn die eingangs erwähnten Zeilen so wirken mögen: Dieser Mann nimmt sich ernst, und er liest nicht mehr nur Schopenhauer, sondern – siehe Plattentitel – dazu C. G. Jung, vielleicht ist das das Problem.

Auch musikalisch hat sich wenig verändert. Hier klingt sogar der Äther schwermütig. Und wenn Thom Yorke tanzt, dann auf zerbrochenem Glas. Was, wie man in „Not the News“ hört, ganz possierlich klingen kann. Wirklich fein ist der jazzige Rhythmus in „Impossible Knots“: Auch zu diesem Groove erklärt Yorke zuerst mit schwacher Stimme, dass er in der falschen Richtung unterwegs sei; doch dann swingt der Bass so unverschämt und leichtfüßig, dass der Sänger, wenn er schon zu Optimismus nicht in der Lage ist, wenigstens ein ums andere Mal haucht: „Now I'll be ready.“ Hoffentlich nicht nur für die Altersdepression.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2019)

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