EU-Gipfel: Einigung auf EU-Spitzenposten

Wird sie die neue EU-Kommissionspräsidentin?
Wird sie die neue EU-Kommissionspräsidentin?(c) REUTERS
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Die Staats- und Regierungschefs wollen Ursula von der Leyen als Präsidentin der Kommission. Die nötige Mehrheit im Europaparlament ist ihr jedoch nicht sicher.

Brüssel/Straßburg. Am dritten Tage kam der Durchbruch: Knapp nach 19 Uhr einigten sich die Staats- und Regierungschefs am Dienstag in Brüssel auf jene Liste von Personen, welche die Führungsämter in den Institutionen der EU bekleiden sollen. Zwei davon sind damit fix: Der belgische Ministerpräsident Charles Michel folgt dem Polen Donald Tusk als Präsident des Europäischen Rates nach, also des Gremiums der Staats- und Regierungschefs. Die Europäische Zentralbank wiederum bekommt mit Christine Lagarde, der französischen Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds, erstmals eine Präsidentin; sie löst, ebenfalls im Herbst, den Italiener Mario Draghi ab.

Doch zwei weitere Posten dieses Personalpakets bedürfen der Zustimmung des Europaparlaments, und vor allem der politisch mächtigste von allen sorgt für enormen Unmut in der Straßburger Kammer. Denn die Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zur Vorsitzenden der Europäischen Kommission sorgt bei Abgeordneten der Sozialdemokraten und der Grünen für heftige Ablehnung. „Ist für Sozialdemokraten nicht akzeptabel“, teilte deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender, der SPD-Abgeordnete Bernd Lange, via Twitter mit. „Von der Leyen als Kommissionspräsidentin? Eine sehr gute Lösung. Für die Bundeswehr. Ist es das, was sich Macron als Regierungserfahrung vorstellt?“, ätzte der Grüne Reinhard Bütikofer. „Ein bitterer Personalvorschlag“, fügte sein Parteikollege Sven Giegold hinzu. „Von der Leyen ist keine Spitzenkandidatin, und zu Hause läuft noch ein Untersuchungsausschuss wegen nicht ordnungsgemäßer Vergabe von Beraterverträgen.“

Die magische Zahl 375

Der zweite Posten, dessen Besetzung eine Mehrheit im Parlament erfordert, ist jener des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Hier sprachen sich die Staats- und Regierungschefs für den früheren Präsidenten des Europaparlaments und Ex-Außenminister Spaniens, Josep Borrell, aus. Für ihn dürfte es nicht so schwer werden, die nötige Mehrheit zu finden, zumal dieses Amt mehr Symbolwert als faktische politische Schubmasse mit sich bringt.

Für von der Leyen wird es nun darum gehen, bei der Abstimmung in zwei Wochen zumindest 375 Abgeordnete zu überzeugen. Denn das ist die einfache Mehrheit des derzeit aus 748 Abgeordneten zusammengesetzten Hauses (drei katalanische Abgeordnete wurden, weil sie das vom spanischen Wahlrecht erforderte Gelöbnis auf die Verfassung nicht geleistet hatten, vorerst nicht in ihren Mandaten bestätigt). Diese Mehrheit wird nach dem derzeitigen Stand der Dinge sehr schwer zu erreichen sein. Die 182 Stimmen „ihrer“ Europäischen Volkspartei dürften ihr sicher sein; sogar Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident und stets an der Schwelle des Parteiausschlusses, sprach sich ausdrücklich für von der Leyen aus. Doch mit den restlichen 193 Stimmen wird es schwierig. Die 154 Sozialdemokraten sind tief gespalten: Die SPD-Abgeordneten dürften ihr wohl kaum zustimmen, wenn man sich vor Augen führt, dass sich Kanzlerin Angela Merkel bei der Abstimmung im Europäischen Rat enthalten musste, weil ihr Koalitionspartner, besagte SPD, dieses Personalpaket nicht unterstützte.

Wie werden die 108 Liberalen stimmen, deren Gruppe nun Renew Europe heißt? Nathalie Loiseau, frühere Europaministerin Frankreich und Statthalterin von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Parlament, hat ihr bereits ausgerichtet, „eine sehr gute Kandidatin“ zu sein. Aber sonst ist die Lage hier offen.

Noch keine klare Mehrheit

Auf die Stimmen der 74 Grünen kann von der Leyen nicht hoffen. Ihre Fraktionschefin Ska Keller kritisierte das Postenpaket als „grotesk“, es diene nur „parteipolitischen Machtspielen“. "Das ist wieder so einer von den alten Deals, wo der Rat einfach jemanden aus der Schublade rausholt, den vorher noch nie jemand gesehen hat im Wahlkampf", sagte Keller im ZDF-"Morgenmagazin". Dass das jetzt eine Mehrheit finde, das sehe sie noch nicht. Die Entscheidung für von der Leyen sei kein Aufbruchssignal, sondern "wirklich einfach nur der kleinste gemeinsame Nenner", so die deutsche Grünen-Politikerin. "Es gibt überhaupt keine politische Dynamik in diesem Vorschlag, und das trifft hier auf sehr sehr viel Unmut."

Ähnliches gilt für die 41 Abgeordneten der linken Fraktion. Einige der 62 Abgeordneten der Europäischen Konservativen und Reformer, die von der polnischen Regierungspartei PiS geführt werden, dürften für sie stimmen.

Doch in Summe sieht es derzeit nicht nach jener klaren, proeuropäischen Mehrheit aus, welche die Führer der vier größten der genannten politischen Gruppen schon vor der Europawahl als erforderlich erachtet hatten. „Ich bin kein Prophet für das, was im Europaparlament passiert“, sagte Tusk am Dienstagabend nach dem Gipfeltreffen. „Hoffe, dass die politischen Führer alles Mögliche tun, um die Abgeordneten von diesem Projekt zu überzeugen.“

Bierlein erfreut

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat sich am Dienstagabend in Brüssel positiv über den Personalpaket-Vorschlag für die künftige EU-Spitze geäußert. Sie sprach nach Ende des Marathon-Gipfels von einem "sehr sehr guten Ergebnis". Sie freue sich insbesonders, dass mit Ursula von der Leyen erstmals eine Frau für dieses Amt vorgeschlagen worden sei, sagte Bierlein in einem kurzen Statement: "Ein historischer Moment". Bierlein betonte außerdem, dass sie mit dem österreichischen Parlament Rücksprache gehalten habe. Die Frage, ob auch alle Fraktionen pro von der Leyen gewesen seien, ließ sie unbeantwortet.

Ablauf

Ursula von der Leyen muss im EU-Parlament zur Kommissionspräsidentin gewählt werden. Die Wahl könnte in der Woche ab dem 15. Juli über die Bühne gehen. Sollte das Europaparlament von der Leyen nicht wählen, müsste der Rat der Staats- und Regierungschefs einen neuen Vorschlag unterbreiten. Das Europaparlament wollte schon am Mittwoch seinen Präsidenten wählen. >> Mehr dazu.

(APA)

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