Festspiele Reichenau: Schnitzler endet als Telenovela

Die brave Marie (Johanna Prosl) und die wilde Katharina (Alina Fritsch), die krank wird.
Die brave Marie (Johanna Prosl) und die wilde Katharina (Alina Fritsch), die krank wird. (C) Festspiele Reichenau/Dimo Dimov
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„Der Ruf des Lebens“ beeindruckt im ersten Teil. Danach trägt die Inszenierung von Helmut Wiesner dick auf. Reichenau braucht mehr junge Gestalter.

Ich denke mir oft, ob das Jungsein nicht eine Art Krankheit ist.“ Der Satz ist von Schnitzler, nicht von Renate Loidolt, die das selten gespielte Drama „Der Ruf des Lebens“ (1905) bearbeitet hat, das seit Mittwoch im Reichenauer Theater zu erleben ist. „Kein gutes Stück“, fand ein Kritikerkollege. Jedenfalls hat Schnitzler in dieses Werk zu viel hineingepackt: Das Militär, das dem Dichter seit „Leutnant Gustl“ ein Dorn im Auge war; die damit verbundene Lebenskatastrophe eines alten Mannes – und Beziehungen unter dem Motto „Ein Junge liebt ein Mädchen“ oder mehrere – und umgekehrt.

Renate Loidolt, deren Literaturmatineen sehr beliebt sind, die heurige gilt der unheimlichen Novelle „Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann (Samstag), hat Schnitzlers Text entflochten und geklärt. Mit Helmut Wiesner war ein idealer Regisseur für österreichische Klassiker am Werk – und die Besetzung ist auch sehr einheimisch. In Reichenau setzt man auf Typen, allerdings sind hier manche etwas schwach.

Als Komposition wirkt die Aufführung aber überzeugend und sie berührt stärker als der kunstvolle „Monat auf dem Lande“ (Dienstag). Die Geschichte: Ein alter, kranker Rittmeister quält seine Tochter, die von einem Doktor und einem Förster verehrt wird, sie liebt aber einen Offizier. Den ersten Teil des Abends dominiert Toni Slama als sadistischer Militär Moser. Übertrieben? Keineswegs, wer je alte Menschen in ihrer Wut und in ihrem Starrsinn erlebt hat, weiß, wie weit sie gehen können. „Weniger wäre mehr!“, möchte man bei Slama immer rufen, aber hier wirkt er großartig.

Johanna Prosls Marie erscheint etwas starr, überdreht hingegen Alina Fritsch als Katharina, eine Art Fin-de-Siècle-Ophelia. Gabriele Schuchter hat berührende Momente als Mutter dreier Töchter, zwei sind schon an Schwindsucht gestorben, eine ist gerade dabei, grauenvoll. Im Doktor mag sich der Dichter selbst gesehen haben, Sascha Oskar Weis ist ein ideales Alter Ego für ihn, aber dieser Arzt doziert etwas zu viel.

Thomas Kamper, fahl geschminkt, gibt einen Oberst, der sein Regiment in den sicheren Tod führen muss – oder will, weil ihn seine Gattin betrügt. Emese Fay spielt diese Lady in Rot, die sexuell aktiv ist und reich. Den jungen Offizier Max (David Jakob) hat sie in ihre Arme gelockt, jetzt will sie mit ihm flüchten, er aber will lieber sterben, da springt der Oberst klirrend durchs Fenster ins Gemach und zieht eine Pistole. Jetzt sind wir nah an der Telenovela, die sich in der Folge zeitweise breitmacht. Schon der Kritiker Hermann Bahr, der sich von Schnitzlers Treffsicherheit ergriffen zeigte, deutete an, dass einige Nebenfiguren unfertig wirkten. Schnitzler wollte anscheinend an den Sensationserfolg der „Liebelei“ (1894) anknüpfen: Der alte Moser, Marie, Max sind Variationen von „Liebelei“-Figuren.

Kriege von gestern – und heute

Bewunderung weckt Schnitzlers Mut, mit dem er nach dem „Gustl“-Skandal, der ihn den Offiziersrang kostete, erneut und frontal das Militär angreift. „Der Ruf des Lebens“ zeigt durchaus Parallelen zur Gegenwart: multinationale Heere, Söldner, Stellvertreterkriege, Grenzscharmützel, gnadenloser Drill, der wie eine Gehirnwäsche wirkt, die das Leben, das Denken, ja, die Identität komplett verändert. Man denke an Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ („Tödliches Kommando“, 2008) über Bombenentschärfer im Irak-Krieg, der Film gewann den Regie-Oscar. „Krieg ist eine Droge“, schrieb Chris Hedges von der „New York Times“.

Trotzdem scheint er unumgänglich. Das war vermutlich in der k. u. k Monarchie nicht anders als heute. In Max, dem Aufrechten, Albrecht (René Peckl), dem demoralisierten Zweifler, in dem vom System gebrochenen Oberst und schließlich im alten Rittmeister, der abgehalftert wurde, weil er gegen die Gesetze des Militärs verstieß, sind Prototypen aus Kriegen aller Zeiten zu erkennen. Nur der Förster (Dominik Raneburger) wird im kaiserlichen Jagdrevier wohl vor Feindberührung bewahrt bleiben.

Insgesamt: Eine wohldurchdachte, nur im Ton zeitweise etwas dick aufgetragene Aufführung. Für Reichenau wünscht man sich etwas mehr junge Spieler, die nicht nur als Typen, sondern auch als Gestalter in der Tiefe überzeugend wirken. Es gibt sie, auch in Österreich, nicht nur in Deutschland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2019)

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