Frau Lagarde und ihr Misstrauen gegen Bargeld

Die designierte EZB-Chefin bringt viel Expertise in Sachen Abschaffung beziehungsweise Neutralisierung von Bargeld mit. Kein gutes Vorzeichen.

Beschädigt ist die Europäische Zentralbank durch den unappetitlichen politischen Kuhhandel um die EU-Institutionen, in die sie da hineingezogen wurde, jedenfalls: Das Märchen von der politisch unabhängigen Notenbank kann man sich jetzt endgültig abschminken.

Für die aktuelle Politik der solcherart an die EZB-Spitze gehievten IWF-Chefin Christine Lagarde wird das freilich keinen großen Unterschied machen: Die EZB hat sich schon so tief in ihre Gelddruck- und Nullzinspolitik verstrickt, dass niemand mehr eine Idee hat, wie man da ohne große Kollateralschäden für Wirtschaft und Währung wieder herauskommen könnte.

Man wird in den nächsten Jahren also „more of the same“ sehen. Auch der unterlegene Lagarde-Gegenspieler Jens Weidmann, ein deutscher „Zinsfalke“, hätte kurzfristig nicht groß an der Zinsschraube drehen können. Wenngleich: Bei der anstehenden Milliardenumverteilung in Richtung „Club Med“ hätte er wohl wenigstens bremsend eingegriffen.

Die EZB wird unter Christine Lagarde also die Zinsen mittelfristig bei null halten und Anleihekäufe massiv fortsetzen. Und wie ihr Vorgänger, „whatever it takes“, einsetzen, um die lockerer wirtschaftenden Euro-Volkswirtschaften per versteckter Staatsfinanzierung am Leben zu halten.

Sie wird allerdings bald vor einem größeren Dilemma stehen: Was wir derzeit sehen, ist ein Vollkrisenmodus mitten in der Hochkonjunktur. Diese flaut jedoch gerade langsam ab. Die nächste Rezession kommt so sicher wie der nächste Regen.

Und da ist es spannend, was die Institution, der die neue EZB-Chefin bisher vorgestanden ist, zu solchen Fällen sagt: Typischerweise, so heißt es in einem IWF-Working-Paper von Ende April dieses Jahres („Enabling Deep Negative Rates to Fight Recession: A Guide“), seien in solchen Fällen in entwickelten Volkswirtschaften Leitzinssenkungen um bis zu sechs Prozentpunkte notwendig.

Blöde Geschichte: Der Leitzins ist schon bei null, man würde also – eine ausgesprochene Perversion in unserem Finanzsystem – einen negativen Leitzins von bis zu sechs Prozent benötigen. Das würde bedeuten, dass Sparen, aber auch kapitalgedeckte Altersvorsorge nicht mehr möglich wären. Die Sache hat allerdings einen Haken: Jeder Private und jeder Unternehmer, der bei Trost ist, würde in einem solchen Fall sein Geld von der Bank holen und im Safe bunkern.


Solche Negativzinsen sind also nicht machbar, solange Bargeld existiert. Bargeld abzuschaffen geht in vielen Ländern, vor allem in Deutschland und Österreich, ohne Volksaufstand aber auch nicht. Der IWF der Christine Lagarde hat dafür freilich schon einen Plan in der Tasche: Eine Trennung von Bar- und elektronischem Geld, wobei Bargeld gegenüber den mit Negativzinsen belasteten Einlagen jährlich um den Wert dieser Negativzinsen abgewertet würde. Ein zu Hause gebunkerter 100-Euro-Schein wäre ein Jahr später zwar immer noch ein 100-Euro-Schein, man würde dafür aber nur noch Waren im Wert von 94 Euro bekommen.

Genial aus Sicht des IWF, ein Tiefschlag gegen alle, die sich ein bisschen zur Seite gelegt haben. Das Ganze ist natürlich ein Extremszenario, das nicht heute oder morgen eintreten wird. Und IWF-Working-Papers tragen den Disclaimer, dass sie nicht unbedingt mit der Meinung der IWF-Spitze übereinstimmen müssen. Da diese und ähnliche Ideen aber zu Dutzenden auf der Homepage des Währungsfonds zu finden sind, werden sie wohl nicht gerade auf rasende Ablehnung der bisherigen Chefin gestoßen sein.

Wir wissen also ungefähr, was auf uns zukommt: Die Notenbanken sind mit ihrem Latein am Ende, die Schuldenorgien der reformunwilligen Staaten werden wohl per Abschöpfung der Guthaben der Eurozonenbürger bezahlt werden. Und die neue Chefin bringt von ihrem früheren Job umfassendes theoretisches Wissen mit, wie man solches bewerkstelligt, ohne dass die Bürger den Notenbankern per Bargeldhortung eine lange Nase drehen können.

Schöne Aussichten sind das nicht.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2019)

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