Lern- und Organisationsexpertin Josefine van Zanten über „die Zukunft ist weiblich“, Lebenserfahrungen und den großen Fehler vieler Diversitätskonzepte.
Damned if you do, doomed if you don't“ – so betitelte die Beratungsfirma Catalyst schon im Jahr 2007 ihren Forschungsreport zu Frauen in Führungspositionen. Fazit damals: Auf dem Weg nach oben können Frauen machen, was sie wollen, es wird nie richtig sein. Zu weiblich, zu männlich, zu sexy, zu liberal, zu hysterisch, zu führungsschwach – ihr Umfeld wird nicht müde, Frauen be- und abzuwerten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dazu kommt, dass viele Frauen in Führungspositionen lieber ihr Team in den Vordergrund rücken und selbst zurückstehen – ganz anders als ihre männlichen Kollegen.
Die Presse: Kennen Sie den Slogan „Die Zukunft ist weiblich“? Was halten Sie davon?
Josefine van Zanten: Wenn Sie mit „weiblich“ die Gleichstellung der Geschlechter in Bezug auf Bezahlung, Chancen, Integration und Führung meinen – das unterstütze ich. Warum? Es ist diese Mischung aus Geschlechterkulturen, Lebenserfahrungen und Denkstilen, die alle Kunden, Interessengruppen und Partner repräsentiert. Das führt zu mehr Leistung, Engagement, analytischen Fähigkeiten und Problemlösungsfähigkeiten. Unsere Gesellschaft wäre besser. Wir alle würden profitieren.
Weniger als fünf Prozent der CEO der Fortune-500-Unternehmen sind weiblich. Was ist Ihre Erklärung dafür?
Wir tragen Wahrnehmungsfilter in uns, die sich mit der Zeit in Vorurteile verwandeln. Etwa, wenn Manager davon ausgehen, dass Frauen mit Kindern keine Führungsrollen übernehmen wollen. Dann fragen sie eine bestimmte Frau gleich gar nicht.
Es scheint, egal, was Frauen karrieretechnisch versuchen, es hat einen Haken. Werden wir das je überwinden?
Studien zeigen, dass Frauen im Arbeitsumfeld entweder gemocht werden oder als kompetent gelten, selten beides. Ist eine Frau kompetent, aber nicht gemocht, bekommt sie keine Unterstützung. Sie wird nicht zu den wichtigen Sitzungen eingeladen und nicht mit Informationen versorgt. Probieren Sie das einmal: Wenn eine Frau herrisch, zickig, böse oder kalt genannt wird, hinterfragen Sie es. Würde man das auch über einen Mann sagen? Wenn nicht, warum dann bei der Frau?
Ich höre manchmal, weibliche Führung – im Sinne von dienend, empathisch und auf Augenhöhe – sei die Zauberformel zur Überwindung der gewinnorientierten, aggressiven, männlich dominierten Geschäftswelt. Stimmt das für Sie?
Ich persönlich glaube weder, dass alle Männer aggressiv und gewinnorientiert sind, noch, dass alle Frauen dienend führen. Wir müssen mit solchen Zuschreibungen vorsichtig sein. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Sie haben unterschiedliche Lebenserfahrungen, weil sie von der Gesellschaft unterschiedlich behandelt werden – an der Universität, im Beruf, in Banken, Restaurants, Krankenhäusern. Gerade diese Fähigkeit, die gleiche Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, bringt einer Organisation den entscheidenden Mehrwert.
In Bezug auf „New Work“ ist selten von Vielfalt und Integration die Rede. Sind flache Hierarchien, Selbstorganisation und Home Office für Frauen besser?
Die meisten Fortune-500-Unternehmen arbeiten an D&I (Diversity & Inclusion, Anm.), einige wie Shell, IBM und Sodexo seit 30 Jahren. Nicht, weil es das Richtige ist, sondern, weil es klare Geschäftsvorteile bringt. Ich selbst bin aktuell bei drei globalen Konzernen eingeladen, die D&I zur Toppriorität machen wollen – aus Produktivitätsgründen. Was New Work betrifft: Sie kommt beiden Geschlechtern zugute.
Fallen Ihnen häufige Fehler bei solchen D&I-Konzepten auf?
Viele haben ein Konzept, aber sie übersetzen es nicht in messbare Aktionen: messen etwa nicht, um wie viel mehr Frauen an Meetings teilnehmen, wenn sie nicht mehr an den Tagesrändern stattfinden. Mit solchen Daten kann man die Firmenkultur verbessern. Und alle Talente sichtbar machen – nicht nur die üblichen Verdächtigen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2019)