Festspiele Reichenau: So schrecklich sind die Superreichen

Geld oder Geist? Gloria (Wanda Worch) hat die Qual der Männerwahl (Christoph Zadra, l.).
Geld oder Geist? Gloria (Wanda Worch) hat die Qual der Männerwahl (Christoph Zadra, l.). (c) Festspiele Reichenau/Dimov
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Feuchtfröhliche Partys und ein bernhardesker Greis: F. Scott Fitzgeralds Roman „Die Schönen und Verdammten“ gelang in Michael Gampes Regie und Nicolaus Haggs kundiger Bearbeitung. Ein flotter Abend mit Jazzmusik.

„Was ist ein Zyniker anderes als ein enttäuschter Moralist?“ F.Scott Fitzgeralds Bonmots mögen nicht so witzig sein wie jene von Oscar Wilde, pointiert sind sie. Und die zwei Dandys haben vielleicht sogar gewisse Ähnlichkeiten: den Hang zum Höheren und zum Absturz – und eben den Esprit, der freilich bei Fitzgerald US-amerikanisch geprägt ist, beim Iren Wilde letztlich doch britisch.

Nicolaus Hagg hat Fitzgeralds Roman „Die Schönen und Verdammten“ (1922) dramatisiert. Wie immer fehlt nichts, aber das Buch ist reichhaltiger und auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant: Es schildert den Aufstieg der USA, den Kriege und Spekulantentum befeuerten. Der alte Adam Patch verfällt in Frömmelei. Womöglich hat er ein schlechtes Gewissen, weil er geschäftlich viele übervorteilt und/oder ausgebeutet hat. Auch unterstützt Patch senior den Kampf gegen die Prohibition. Man könnte sagen: Erst sind die Lebensverhältnisse unerträglich, dann trinken die Leute, was schlecht für die Arbeitsproduktivität ist. Also muss man sich etwas einfallen lassen. Was läge näher als ein Feldzug mit spirituellem Unterfutter? „Unter dem Einfluss der Frauenherrschaft“, schrieb Sigmund Freud, „will man den Menschen alle Reiz-, Rausch und Genussmittel entziehen und übersättigt sie zur Entschädigung mit Gottesfurcht.“

Die Figur, die gleichermaßen im Besitz von Geld, Macht und Moral ist, spielt in Reichenau Rainer Friedrichsen. Als bernhardesker Greis, der gegen Sozialisten wettert und für Stacheldraht eintritt, erhält er zu Recht den meisten Applaus. Ob der Säufer Fitzgerald, der nur 44 Jahre alt wurde, in seinem Buch bewusst den reizvollen Gegensatz zwischen dem selbstgerechten Alten und den zügellosen Jungen setzte? Vielleicht. Seine wunderbaren Geschichten von „Diesseits vom Paradies“ bis „The Great Gatsby“ hat Fitzgerald oft noch in der gedruckten Fassung stark verändert. Der Verlag murrte.

Fitzgeralds Alter Ego, Anthony Patch, Enkel des steinreichen Seniors, der jahrelang um sein Erbe kämpfen muss, spielt in Reichenau Daniel Jesch. Auf den ersten Blick ist dieser attraktive Bursche, dem man nichts weniger zutraut als Whisky-Exzesse, mit seiner Gestaltung auf dem Holzweg – viel zu brav und ordentlich. Auf den zweiten Blick stimmt das Design der Rolle durchaus: Fitzgerald betrank sich wohl auch, um aus sich herauszugehen. Die Fotos zeigen einen nachdenklichen Intellektuellen. Wanda Worch als Gloria wirkt zunächst ebenfalls irritierend: Diese bodenständige Frau scheint so gar nicht der flirrenden Paradiesvogel zu sein, den Fitzgerald in seiner Angetrauten gesehen und im Roman beschrieben hat.

Aber vielleicht ist das ein Missverständnis, das zuletzt vom Fitzgerald-Biopic „Z: The Beginning of Everything“ auf Amazon Prime bedient wurde. Gloria wählt statt des tüchtigen Bloeckman (kantig: Christoph Zadra), der sich im aufstrebenden Hollywood als Produzent etabliert, den interessanten und undurchschaubaren Anthony, weil sie hofft, dass er auf sie eingeht. Sie möchte trotz ihrer Schönheit ernst genommen werden, hat sie doch ihre Mutter (Cornelia Lippert) als Schreckbild vor Augen: Krampfhaft munter klammert diese sich an ihr Gin-Glas.

Kimberly Rydell punktet als Glorias Rivalin Geraldine mit Langmut und Herzenswärme. Johanna Arrouas als Muriel, Glorias Freundin, noch so ein Flatterwesen (im Buch kommt sie nicht so gut weg), ist vernünftiger, als sie aussieht. Bald muss sie Gloria trösten, die angesichts ihres schwer entgleisten Gatten und im Rechtsstreit um das Patch-Vermögen zu verzweifeln droht: Keine neuen Pelzmäntel mehr! Kreisch!

Nicht der Beste gewinnt

Claudius von Stolzmann entzückt. Er spielt diesmal keinen Strahlemann, sondern Dick, der eine Art weniger ansehnlicher Anthony ist. Umso größeren Ehrgeiz entfaltet er, um seinen Freund auszustechen. Dick schreibt schlechte Bücher wie „Der dämonische Liebhaber“. Damit hat er mehr Erfolg als bei den Frauen. Anders als Anthony ist er mächtig fleißig, schreibt alles auf und mit. Tobias Voigt gibt einen weiteren Gefährten Anthonys, Maury. Der ernste Mann passt gut zu ihm. Herrlich ist der stoische Shuttleworth (Gerhard Roiss), Butler des alten Patch, der alles beobachtet und schließlich seinen Vorteil aus dem Dissens des Milliardärs mit seinem Enkel zieht. In Glamour und Effektsicherheit ist diese Aufführung wohl heuer die beste in Reichenau, auf jeden Fall die rundeste. Und wenn das US-Flair auch etwas klobig wirkt: Es passt zum Stoff, der das Elend der Reichen und Schönen beleuchtet – man könnte auch sagen: illuminiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2019)

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