Niederlande: Auf, auf, ihr Retter der Nachtwache!

Zwei Millionen Besucher drängen sich jedes Jahr vor Rembrandts „Nachtwache“. Nun können sie auch Forschern und Restauratoren bei der Arbeit zuschauen.
Zwei Millionen Besucher drängen sich jedes Jahr vor Rembrandts „Nachtwache“. Nun können sie auch Forschern und Restauratoren bei der Arbeit zuschauen. (c) APA/AFP/ANP/ROBIN VAN LONKHUIJSE
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Das Rijksmuseum hat eine spektakuläre Aktion gestartet: 25 Experten restaurieren Rembrandts Meisterwerk über Jahre vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

Der Hund wird immer blasser. Es ist, als hätte sich ein heller Schleier über den kleinen Köter gelegt, der rechts unten eine Trommel anbellt. Auf dem ganzen Bild tauchen durch einen chemischen Prozess winzige weiße Pünktchen auf. Es ist also hoch an der Zeit, dass die Experten an eines der berühmtesten Gemälde der Welt Hand anlegen. Aber die am Montagnachmittag gestartete „Operation Nachtwache“ ist nicht irgendeine Restaurierung: Rembrandts Meisterwerk wird vor den Augen der globalen Öffentlichkeit über mehrere Jahre seinem bisher umfassendsten Rundumcheck unterzogen. Die Besucher im Rijksmuseum von Amsterdam – es sind zwei Millionen pro Jahr – bestaunen ab sofort nicht nur die aufbrechende Schützengilde, sondern auch 25 leibhaftige Kunsthistoriker, Konservatoren und Restaurateure in einem gläsernen Atelier, das ein französischer Architekt eigens zu diesem Zweck entworfen hat. Per Livestream kann jeder Erdenbürger mit Internetanschluss ihre Arbeit verfolgen.

Es ist wie in diesen modischen Restaurants, in denen man zuschauen kann, wie die Köche das Essen zubereiten. Aber während sich ein Küchenchef kaum dreinreden lässt, sind hier Kommentare ausdrücklich erwünscht. Die Transparenz können sich die Verantwortlichen leisten, weil sie so gründlich (und kostspielig) wie möglich vorgehen: In den ersten zehn Monaten erstellen die Forscher ein „Bild vom Bild“ mit 25.000 hochauflösenden Fotos. Sie untersuchen den Schichtaufbau von dem Firnis bis zur Leinwand durch Spektroskopie und lassen die Daten vom Computer analysieren. So will man dem Großformat seine Geheimnisse entlocken: Hat Rembrandt vorgezeichnet? Wie hat er die Komposition während der dreijährigen Ausführung geändert? Erst wenn alles geklärt und ein Plan erstellt ist, kommen die Restauratoren zum Zug. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Publikum ihnen über die Schulter schauen darf. Ähnlich lief es 2015 bei Courbets „Atelier des Künstlers“ im Pariser Musée d'Orsay. Aber ein so großes und ausgefeiltes öffentliches Projekt wie nun in Amsterdam wurde noch nie gestartet.

Messerattacken und Sprühangriff

Das letzte Mal brachte man die Nachtwache noch hinter Vorhang auf Vordermann. 1975, nach der Messerattacke eines holländischen Lehrers, der nach eigener Angabe von Gott den Auftrag zur Zerstörung des Tableaus erhalten hatte. Schlichter motiviert war der Marinekoch, der 1911 die Leinwand mit einem Messer zerschlitzte: Er wollte damit nur gegen seine Entlassung protestieren. Glimpflich verlief vor knapp 30 Jahren ein Sprühangriff mit Schwefelsäure, die nicht unter den Lack drang. In großer Gefahr war das Bild auch im Zweiten Weltkrieg. Um es vor Bombenangriffen zu schützen, brachte man es erst in einen Bunker in den Dünen an der Küste, dann in ein Bergwerk im Süden der Niederlande. Was aber macht das barocke Bild von 1642 zu einer solchen Ikone, dass sich auch der blanke Wahn an ihm entzündet? Rembrandt missachtete seinen Auftrag: Er malte kein statisches Gruppenporträt mit geschönten Figuren, sondern eine bewegte Szene mit Alltagsmenschen – hässlich und anmutig, würdevoll und eingebildet, fröhlich und traurig. Der Kapitän und sein Leutnant sammeln die Schützen und Bürger, um gemeinsam auszurücken. Übrigens am helllichten Tage; der irreführende Name hat sich erst später eingebürgert, als der Lack nachdunkelte. Einer lädt sein Gewehr, ein zweiter feuert schon los, ein Dritter bläst das restliche Pulver aus der Zündpfanne – so lebensecht wie möglich. Dazwischen ein Mädchen, wohl das Maskottchen der Truppe, und ein bescheidener Gastauftritt des Malerfürsten selbst, von dem nur ein Auge und ein Barett zu sehen sind.

Durch seine mitreißende Bewegtheit ist die „Nachtwache“ nicht nur ein stolzes Sinnbild für das damals fortschrittlichste Land Europas, das sich gerade vom Joch der spanischen Habsburger befreit hat, sondern auch ein Aufbruch für die Kunstgeschichte. Und ein „Tribut an das Menschsein“, wie der damalige US-Präsident, Obama, das Werk bei seinem Besuch 2014 nannte, sichtlich bewegt vom „schönsten Hintergrund, vor dem ich je gesprochen habe“: „Es steht für einen tiefen Glauben an die Gesellschaft, dafür, dass wir die Welt gemeinsam gestalten und dabei jeder seine Verantwortung hat.“

( "Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2019)

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