Von Singapur bis Hongkong, von London bis in die USA: Die Deutsche Bank hat die Kündigung von 18.000 Mitarbeitern begonnen. Der Markt will an die beispiellose Schrumpfkur dennoch nicht so recht glauben. Die Aktie sackte ab.
Frankfurt/Wien. Wenige Stunden nachdem die Deutsche Bank am Sonntagabend eine beispiellose Schrumpfkur mit einer Streichung von 18.000 Stellen bekannt gegeben hatte, machte sie gestern bereits Ernst. So startete in Asien die Kündigungswelle gleich in der Früh, in Hongkong und Singapur wurden ganze Teams vor die Tür gesetzt. „Die halbe Etage ist weg, und die anderen warten nur darauf, dass sie einbestellt werden“, sagte ein Aktienhändler in Hongkong. Er sei zusammen mit anderen gekündigten Kollegen direkt aus dem Gebäude geführt worden. Auch in London, wo das Geldhaus rund 8000 Menschen beschäftigt, und in den USA begann der Kahlschlag.
Die Deutsche Bank hatte am Sonntag verkündet, dass bis 2022 jede fünfte Stelle wegfallen werde, um das Geldinstitut langfristig erfolgreich zu machen. Aus dem Aktienhandel will der seit 15 Monaten amtierende Konzernchef Christian Sewing komplett aussteigen, auch der Anleihehandel – lange Zeit das Aushängeschild der Deutschen Bank – muss abspecken. Stattdessen wird der Fokus auf Firmenkunden gelegt. Damit will der 49-jährige Sewing die Bank nachhaltig rentabel und weniger abhängig von den Launen des Kapitalmarkts machen.
Einen Umschlag zum Abschied
Die Mitarbeiter sind weltweit maximal verunsichert. „Die Stimmung ist ziemlich düster. Einer nach dem anderen wird in einen Konferenzraum gebeten, bekommt nach Gesprächen mit Personalern einen Umschlag gereicht und muss dann das Gebäude verlassen“, sagte ein Aktienhändler in Singapur, der seit sechs Jahren für das Geldhaus arbeitet. „Ich wurde heute morgen gekündigt. Ein kurzes Meeting, und das war es dann“, sagte ein IT-Mitarbeiter, der seit zweieinhalb Jahren an einem Projekt in der Bank in London arbeitete. Auch in Deutschland sind Mitarbeiter vor Entlassungen nicht gefeit.
Mit dem Umbau will Sewing die jahrelange Talfahrt der Deutschen Bank stoppen. Seine Vorgänger, Josef Ackermann, Anshu Jain, Jürgen Fitschen, John Cryan und auch der österreichische Aufsichtsratschef Paul Achleitner, scheuten tiefe Einschnitte im Investmentbanking.
Sewing fährt nun überraschend eine harte Linie. Sein Ziel: bis 2022 eine profitable Bank mit einem Vorsteuergewinn von mindestens sechs Milliarden Euro zu schaffen. Die Bank soll nicht nur kleiner und einfacher, sondern auch von den Launen des Markts unabhängiger werden.
Dazu sollen die Kosten um sechs Milliarden auf 17 Milliarden gedrückt werden. Die Erträge in der Kernbank will er bis 2022 auf 25 Milliarden Euro steigern, von 22,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Analysten sind jedoch skeptisch, schließlich hat die Bank bei früheren Strategieänderungen ihre Ziele oft verfehlt.
Der Markt bleibt skeptisch
Entsprechend traut der Markt den Ankündigungen noch nicht. Nach anfänglichen Kursgewinnen sackte die Aktie gestern im Tagesverlauf wieder über fünf Prozent ab. „Die Deutsche Bank wird durch den laufenden Umbau fragiler, die Kernkapitalquote geht runter. Kleiner werden und zugleich die Erträge steigern – das wird schwierig. Alles in allem ist es eine Hochrisikostrategie“, sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance, bei der Deka, dem Fondshaus der Sparkassen.
Sewing will sich künftig mit einer harten Kernkapitalquote (CET1) von mindestens 12,5 Prozent begnügen, nachdem er bislang mindestens 13 Prozent angestrebt hat. Durch das geplante Abschmelzen der Kapitalpolster gebe es nicht viel Spielraum für Fehler, warnten die Analysten von RBC Capital Markets.
Fürs Erste steht ohnehin eine weitere Durststrecke bevor, zumal die Umstrukturierung 7,4 Mrd. Euro verschlingen wird. Nachdem die Deutsche Bank im Vorjahr den ersten Jahresgewinn seit 2014 ausweisen konnte, erwarten die Analysten der Ratingagentur Moody's für 2019 nun einen Verlust von zwei Milliarden Euro. Für das zweite Quartal schlägt bereits ein Fehlbetrag von 2,8 Milliarden zu Buche. Auch im kommenden Jahr drohen rote Zahlen. Die Aktionäre sollen laut Finanzchef James von Moltke 2019 und 2020 auf eine Dividende verzichten. (Reuters/est)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2019)