Der ehemalige Wirtschaftsminister Ali Babacan tritt aus der AKP aus – und will offenbar noch heuer eine neue Partei gründen. Bisher konnte die Regierungspartei, bis auf seltene Ausnahmen, interne Kritiker ruhigstellen.
Wien/Ankara. Gerüchte machen seit Wochen die Runde, nicht nur im weiß-blauen Gebäude im Westen Ankaras, der Zentrale der AKP. Ali Babacan, Gründungsmitglied der türkischen Regierungspartei, ehemaliger Wirtschaftsminister, langjähriger Weggefährte des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, hat seinen Parteiaustritt nun offiziell kundgetan, berichten türkische Medien – mit einem Brief an die Parteizentrale. Er habe eine Abgrenzung erlebt, schreibt Babacan; und feuert gleich weitere Gerüchte an. Babacan will offenbar eine neue Partei gründen, um die von Erdoğan und seinem autoritären Stil enttäuschten AKP-Anhänger aufzufangen. „Es ist unvermeidbar geworden, neue Anstrengungen für die Gegenwart und Zukunft der Türkei zu unternehmen“, wird er zitiert. Die Parteigründung soll noch in diesem Jahr erfolgen.
Gespräche mit Gül?
Austritte von Parteigranden sind selten, bisher hat es die mächtige AKP stets geschafft, interne Kritiker ruhigzustellen oder einen Austritt vor den Medien zu verbergen. So wird der ehemalige Premier, Ahmet Davutoğlu, auf der AKP-Website weiterhin als Mitglied aufgelistet. Davutoğlu gilt als Kritiker Erdoğans, er legte 2016 nach Differenzen den Posten als Premier zurück und äußerte sich seither nicht mehr darüber.
Angeblich haben Babacan und Davutoğlu Gespräche über die neue Partei geführt – so auch mit Abdullah Gül, ebenfalls seit Beginn bei der AKP und zwischenzeitlich Kritiker Erdoğans. Im Gegensatz zu Davutoğlu ist Gül nicht mehr in der Partei aktiv; zu seiner Zeit als Präsident musste er austreten. Türkische Kommentatoren gehen daher davon aus, dass eher Gül als Davutoğlu sich öffentlichkeitswirksam von Erdoğan abwenden und in eine neue Partei eintreten könnte. Gerüchte gibt es viele. Doch was Babacan genau plant, ist unklar.
Fest steht nur, dass Erdoğans AKP seit der Kommunalwahl im Frühjahr viele Schrammen davongetragen hat. Die Partei verlor wichtige Großstädte, das Match in Istanbul ging, auf Geheiß der AKP, in die zweite Runde – erneut siegte der Oppositionskandidat Ekrem Imamoğlu. Darüber hinaus scheint eine Erholung von der Wirtschaftskrise nicht in Sicht, die Einführung eines Präsidialsystems – wie nach dem Referendum 2017 beschlossen – ruft weiterhin große Skepsis hervor. Seit einigen Jahren ist die AKP auch auf die Ultranationalisten im Parlament angewiesen. Auch bei ihnen ist es vor zwei Jahren zu einer Parteispaltung gekommen, da vielen Anhängern die Anbiederung an die AKP missfiel.
Die nächste reguläre Parlamentswahl steht 2023 an – es ist das 100. Jubiläumsjahr der Republiksgründung. Erdoğan, der seit 17 Jahren die Geschicke des Landes leitet, will mit dem Sieg 2023 sein politisches Erbe besiegeln. (duö)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2019)