Der weltweit wichtigste Notenbanker steht bereit, um „angemessen zu handeln“. Für die Marktteilnehmer bedeutet das: Die US-Zinsen werden wohl bald sinken. Erstmals seit 2008.
Wien. Vielen gilt es bereits als ausgemachte Sache: dass die amerikanische Notenbank Fed bei ihrer nächsten routinemäßigen Sitzung am Monatsende an der Zinsschraube drehen wird. Die mit Spannung erwartete Anhörung des wohl wichtigsten Zentralbankers vor dem US-Kongress nährt nun diese Annahme.
Die Fed stehe bereit, „angemessen zu handeln“, um nachhaltiges Wachstum zu sichern, erklärte Jerome Powell laut vorab veröffentlichtem Redetext. Der internationale Handelskonflikt und die schwache Weltwirtschaft lasteten auf dem Konjunkturausblick. Hinzu komme die Gefahr, dass sich die gedämpfte Inflation noch hartnäckiger halten könne als erwartet und sich somit nicht als vorübergehendes Phänomen erweise. Zudem hätten sich Investitionen „spürbar verlangsamt“, und das Wirtschaftswachstum habe ein mäßigeres Tempo angeschlagen.
Powell steht derzeit unter besonderer Beobachtung. Obwohl Donald Trump ihn ins Amt gesetzt hat, ist der Präsident nicht zufrieden mit der Performance des Fed-Chefs. Allein im vergangenen Jahr hatte die US-Notenbank die Zinsen vier Mal erhöht, das letzte Mal im Dezember, und zwar auf eine Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent. Trump hatte Powell deshalb wiederholt öffentlich attackiert, weil er lieber Zinssenkungen und damit ein stärkeres Wirtschaftswachstum sehen würde. Immerhin stehen im kommenden Jahr Wahlen an. Eine Konjunkturflaute soll aus Trumps Sicht schließlich keiner zweiten Amtszeit im Wege stehen.
Dass die Fed die Zinsen nun drastisch senkt, davon ist eher nicht auszugehen. Vielmehr wird sie behutsam vorgehen. Maximal wird sie wohl einen Schritt um einen Viertelprozentpunkt nach unten wagen. Die letzte Senkung liegt allerdings schon mehr als zehn Jahre zurück – sie erfolgte im Dezember 2008, wenige Monate, nachdem die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammengebrochen war.
Freude an den Aktienmärkten
In den USA veröffentliche Arbeitsmarktdaten haben den Befürwortern einer Zinssenkung in jüngster Zeit allerdings etwas Wind aus den Segeln genommen. Im Juni wurden weitaus mehr Jobs geschaffen, als von Ökonomen erwartet worden war. Die Arbeitslosenquote ist zwar gestiegen, liegt aber nach wie vor bei niedrigen 3,7 Prozent und damit auf einem Niveau, wie man es in den USA seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Die Konjunktur ist derzeit ebenfalls nicht so schwach, wie man angesichts so mancher Aussagen vielleicht vermuten könnte. Noch zu Jahresbeginn hatte das Wirtschaftswachstum mit einer aufs Jahr hochgerechneten Rate von 3,1 Prozent kräftig zugelegt. Die meisten Experten gehen aber davon aus, dass es im Frühjahr zu einer Abkühlung gekommen sein dürfte. Der von Trump losgetretene Handelskonflikt mit China ist ein Grund dafür.
Ökonom Michael Pond vom Finanzhaus Barclays sieht die Fed jedenfalls auf einen Zinsschritt zusteuern, der als Absicherung gedacht sein könne: „Falls sich die Wirtschaft abkühlt und die Fed den Zins senkt, tut sie eigentlich nichts anderes, als das schwächere Wachstum auszugleichen.“
Der Euro legte nach Powells Aussagen gegenüber dem Dollar zu. Sinken die Zinsen, ist die US-Währung für Investoren nicht mehr so attraktiv. Wiewohl das Zinsniveau in den USA nach wie vor deutlich über jenem Europas (null Prozent) liegt.
Die US-Börsen starteten jedenfalls mit Gewinnen in den Handel. Der breite US-Aktienindex S&P sprang erstmals über die Marke von 3000 Punkten. Auch der deutsche und europäische Aktienmarkt nahmen die Signale aus Übersee positiv auf.(nst/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2019)