Dichterimitat soll den Büchner-Preis erhalten: Einspruch!

Bedeutender Preis für Lukas Bärfuss: eine grauenhafte Fehlentscheidung.

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Das hat Georg Büchner wirklich nicht verdient. Das wohl größte, aber unvollendete Genie der deutschen Literatur, das in seiner kurzen Lebensspanne Werke schuf, die alle Zeiten überdauern. Der Revolutionär, der mit dem Schlachtruf „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ lange vor dem Kommunistischen Manifest dem Aufbegehren der Erniedrigten und Entrechteten machtvoll seine Stimme lieh.

Und nun das. Lukas Bärfuss bestätigt das Vorurteil, dass Schweizer der Schriftsprache nur begrenzt mächtig sind. Und dass er tatsächlich eine Meisterschaft entwickelt hat, allerdings die der schiefen Sprachbilder. Die Linke und die Gewerkschaften seien in der Schweiz vom Melker zur Kuh geworden, Europa sei „ein vergifteter Trank“, der SVP-Politiker Christoph Blocher sei ein „chemischer Industrieller“, der das Land mit „obskuren Ideen inspiriert“?

Sprachliche Geröllbrocken, nicht einmal Schweizer Dialekt, sondern schlichtweg ein Sprachverbrechen. In all diesem Durcheinandertal, zu dem Bärfuss das nicht anspruchslose Gefäß eines Essays denaturierte, gibt es aber Übleres als eine mangelhafte Beherrschung der Sprache.

Besondere Sorgen machte er sich um die „Neue Zürcher Zeitung“. Hier wurde er richtig bösartig und nahm sich den neuen Leiter des Feuilletons zur Brust. „Ein Schuft, der an seiner Haltung zweifelt“, beginnt er maliziös, weil der Feuilletonchef der „NZZ“, René Scheu, zuvor Chefredakteur der Zeitschrift „Schweizer Monat“ war.

Glatte Lügen

Diese Zeitschrift wurde 1921 gegründet und versammelt in ihrem Autorenverzeichnis so ziemlich alles, was seit fast hundert Jahren Rang und Namen hat. René Scheu eine geistige Nähe zum Faschismus zu unterstellen, nur weil der „Schweizer Monat“ in den 1930ern den damaligen Chefredaktor entließ, weil der mit einer Schweizer Fröntler-Bewegung sympathisierte, ist schuftig. Die größte Partei der Schweiz, gemeint ist die SVP, mache „mit Nazisymbolen Werbung“, überhaupt werde „der Populismus immer frecher, die Anwürfe immer primitiver“. Das zu behaupten ist eine glatte Lüge.

Dauererregter Krakeeler

Schreiben kann er nicht wirklich verständlich, formulieren kann er schlecht, aber etwas kann er sehr gut: Gehabe zur Haltung machen. Immer einen strengen Blick auf das Elend der Welt gerichtet. Immer die Imitation eines getragenen Orgeltons: „Für mich sind Bootsflüchtlinge Helden.“ Immer schnell mit Vorurteilen zur Hand. „In einer distinkten und dennoch rätselhaften Bildersprache, karg, klar und trennscharf, durchdringen sich nervöses politisches Krisenbewusstsein und die Fähigkeit zur Gesellschaftsanalyse am exemplarischen Einzelfall, psychologische Sensibilität und der Wille zur Wahrhaftigkeit.“

Über wen schreibt da die Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung? Über Büchner? Ja, das kann passen, wenn es auch vielleicht eine Spur zu verschwurbelt daherkommt. Moment, nein, das ist die Begründung für den Fehlentscheid, einem miesen Denunzianten, einem dauererregten Krakeeler, einer über sich selbst, über ihre Haltung, über ihre Bilder, über ihre Worte stolpernden Karikatur eines Schriftstellers den Georg-Büchner-Preis zu verleihen.

Das hat Büchner wirklich nicht verdient. Das haben auch Gottfried Benn, Erich Kästner, Max Frisch, Hans Magnus Enzensberger, Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt bis hin zu Josef Winkler nicht verdient. Das ist schändlich, entwürdigend und zeugt von fehlendem Respekt vor dem Namensgeber und anderen Preisträgern.

Dr. René Zeyer ist Publizist und Bestsellerautor in Zürich. Er hat in Germanistik promoviert, beschäftigt sich aber meistens mit Wirtschaftsthemen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2019)

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