Die nominierte Kommissionspräsidentin quälte sich durch die Anhörungen der europäischen Fraktionen. Eine Zustimmung der EU-Abgeordneten ist nach wie vor fraglich.
Brüssel/Wien. Der Tag war anstrengend. Vielleicht hatte sich Deutschlands bisherige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auch einfach zuviel vorgenommen: Seit Dienstagabend und über den gesamten Mittwoch stellte sich die nominierte EU-Kommissionspräsidentin den Fragen der im Europäischen Parlament vertretenen Fraktionen. Freundlich, aber kühl, sachlich, aber nicht immer konkret, beantwortete die CDU-Politikern geduldig die zahlreichen Fragen. Von Termin zu Termin wirkte sie erschöpfter. Manchmal ähnelten ihre Auftritte wohl auch deshalb eher einem politischen Bitt- und Bußgang (Canossagang) als einem persönlichen Aufbruch in die Nach-Juncker-Ära.
Von der Leyen ist auf die Zustimmung der Mehrheit des Parlaments angewiesen – und um genau diese warb sie. Relativ erfolgreich war ihr Gespräch mit der ECR-Fraktion, der sowohl die Tories als auch die polnische Regierungspartei PiS angehören. ECR-Vorsitzender Raffaele Fitto, berichtete von einer „offenen und ehrlichen“ Diskussion. Ob die 62 teilweise ultrakonservativen Abgeordneten kommende Woche im Plenum für von der Leyen stimmen werden, ließ er dennoch offen.
In der sozialdemokratischen S&D-Fraktion wartete danach die erste große Hürde. Schon vor Beginn war klar, dass sie hier mit Widerstand rechnen musste. Die 16 SPD-Abgeordneten hatten angekündigt, gegen sie zu stimmen, ebenso die fünf SPÖ-Abgeordneten. Auch darüber hinaus fand sie wenig Unterstützung. „Ihre Antworten waren sehr oberflächlich. Das hat mich überrascht“, sagte Evelyn Regner (SPÖ) nach der Aussprache zur „Presse“. So habe die Kandidatin auf die Frage, was sie zur Stärkung der Sozialunion zu tun gedenke, minutenlang über Erasmus geschwärmt. Die SPÖ-Abgeordneten „werden sicher gegen sie stimmen“, so Regner. Das bestätigte später auch Delegationsleiter Andreas Schieder.
Zu Mittag folgten die Liberalen. Von der Leyen erzählte zu Beginn von ihrer Kindheit in Brüssel, von ihrer Begeisterung für die europäische Idee – und gab ein Bekenntnis für Freizügigkeit ab. Als dann aber eine ungarische Abgeordnete von der liberalen Bewegung Momentum nach ihrer Haltung zur Orbán-Regierung und den Umgang der Europäischen Volkspartei (EVP) mit der Schwesterpartei Fidesz fragte, kam sie ins Strudeln. Fragen zur Sozialunion beantwortete sie wie zuvor bei den Sozialdemokraten themenverfehlt mit dem Erasmus-Programm. Obwohl sie bemüht war, Ruhe und Aufmerksamkeit auszustrahlen, konnte sie ihre Erschöpfung nicht verbergen und stöhnte hörbar in das Mikrofon, als sich immer neue Fragesteller meldeten.
Widerstand bei den Grünen
Den schwierigsten Auftritt hatte sie aber am frühen Abend bei den Grünen, unter denen der Widerstand gegen ihre Nominierung besonders groß ist. Viele der Abgeordneten lehnen die deutsche Politikerin aus Prinzip ab, weil sie sich nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl beworben hatte. Obwohl von der Leyen versprach, mehrheitliche Entschließungen des Parlaments automatisch aufzugreifen und ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz abgab – er sei aktuell das wichtigste Thema der EU – dürfte sie von den Grünen nicht breit unterstützt werden.
Insgesamt benötigt Ursula von der Leyen eine Mehrheit von mindestens 374 Stimmen im aktuell 747 Mitglieder zählenden Europäischen Parlament. Weitgehend sicher sind ihr nur die 182 Stimmen der Europäischen Volkspartei. Dort hat Fraktionschef Manfred Weber, obwohl er selbst von seiner Kandidatur für die Juncker-Nachfolge zurücktreten musste, für eine breite Unterstützung geworben. Auch die sieben ÖVP-Abgeordneten wollen für von der Leyen stimmen.
Selbst wenn Teile der rechten Fraktionen die Deutsche bei der für Dienstag geplanten Abstimmung unterstützen, dürfte sie auf Stimmen aus dem liberalen und Mitte-Links-Lager angewiesen sein. In der S&D (154 Abgeordnete) wird es möglicherweise keine Vorgabe von Fraktionschefin Iratxe Garcia für die Abstimmung geben. Und bei den 108 Liberalen kann von der Leyen zumindest mit einer mehrheitlichen Unterstützern rechnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2019)