Afrika-Cup: Eine Insel im Fußballfieber

Die Madagassen vor dem Spiel gegen Kongo vergangene Woche.
Die Madagassen vor dem Spiel gegen Kongo vergangene Woche.REUTERS
  • Drucken

Debütant Madagaskar strebt mit einer Legionärstruppe aus großteils unterklassigen Ligen und einem Teilzeit-Teamchef im Viertelfinale gegen Tunesien nach der nächsten Sensation.

Kairo/Wien. Die Geschichte von Madagaskars Fußball-Nationalteam ist schnell erzählt. 1947 ins Leben gerufen, hat es bei allen 49 folgenden großen Turnieren nicht mitgespielt. Dann kam der Afrika-Cup 2019. Bei ihrer Endrunden-Premiere in Ägypten schreiben die „Barea“, eine Subspezies des Buckelrinds, dessen Kopf auch das Verbandswappen ziert, derzeit an ihrem Sommermärchen: Donnerstag (21 Uhr, live, Dazn) soll im Viertelfinale gegen Tunesien der nächste Coup gelingen.

Vor über zwei Jahren sind die Madagassen in der Vorrunde zur Qualifikation gestartet und haben sich schließlich als Gruppenzweiter erstmals für die kontinentalen Meisterschaften qualifiziert. Mit Siegen über Burundi und Nigeria sowie einem Remis gegen Guinea war der 109. der Fifa-Weltrangliste der schlechtest gereihte Aufsteiger, setzte sich im Achtelfinale dennoch überraschend im Elfmeterschießen gegen die Demokratische Republik Kongo durch.

„Wir sind ein echtes Team aus Freunden. Unsere Spieler sind vielleicht keine Stars, aber talentiert“, umriss Teamchef Nicolas Dupuis das Erfolgskonzept. Der Franzose ist das Mastermind hinter der Erfolgsgeschichte, denn mit seinem Amtsantritt im März 2017 krempelte er den Verband um. „Alles hat sich verändert, alles wurde professioneller. Jetzt haben wir eigene Athletiktrainer, Physiotherapeuten und Mediziner. Natürlich werden dadurch auch die Ergebnisse besser.“

Präsidiale Spende

Vor nicht allzu langer Zeit mussten die Nationalspieler froh sein, bei Länderspielen ein Bett samt Dach über dem Kopf zu haben, Prämien gab es in Form eines Kuverts von den Fans, erinnert sich der britische „Guardian“ an einen Besuch 2001. Bis vor fünf Jahren fand sich Madagaskar auf Platz 190 unter den 211 Fifa-Nationen. Geld ist auf der 25-Millionen-Einwohner-Insel im Indischen Ozean nach wie vor knapp (durchschnittliches Jahreseinkommen 350 Euro), die Hotelkosten der Mannschaft für das Turnier in Ägypten hat deshalb Präsident Andry Rajoelina übernommen. Trotz 1,8 Millionen Euro Förderung seitens des Weltverbands verkaufte Kapitän Faneva Andriatsima vor dem Afrika-Cup Trikots, um Trainingsausrüstung zu finanzieren.

Selbst Teamchef Dupuis muss sich mit einer Anstellung beim französischen Viertligisten Fleury verdingen. In den unteren Ligen Frankreichs hat der 51-Jährige auch den Hauptteil seines Kaders rekrutiert. Einzig die Verteidiger Thomas Fontaine (Reims) und Jérémy Morel (Olympique Lyon) spielen in der Ligue 1 und verfügen damit wie Anicet Abel vom bulgarischen Meister Ludogorez Rasgrad und Marco Ilaimaharitra über Erstligaerfahrung. „Wir sind so stolz, das ist ein Geschenk an alle unsere Landsleute“, sagte der Profi vom belgischen Klub Charleroi.

Dupuis nutzt den aktuellen Begeisterungssturm, um die Alarmglocken zu läuten. Denn Madagaskars sportlicher Erfolg würde gravierende Probleme im Verband lediglich überdecken, langfristig fehle es an Konzept und Vision. „Es gibt keine Nachwuchsarbeit. Wenn wir nicht jedes Detail hinterfragen, wird es in zwei Jahren kein Team mehr geben“, erklärte er mit Blick auf den vergleichsweise alten Kader um den bereits 35-jährigen Kapitän Andriatsima. Darin findet sich neben Belgien-Legionär Ilaimaharitra, 23, nur noch ein weiterer Spieler unter 25 Jahren.

Der Euphorie in der Heimat tut das keinen Abbruch. Zum Achtelfinale hatte Präsident Rajoelina eigens einen Airbus A380 gechartert, die Nachfrage war trotz des Paketpreises von über 500 Euro für Flug und Matchkarte hoch. Nicht nur der Staatschef träumt von der Sensation: „Wir sind die Hoffnung und Stars der afrikanischen Teams.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.