Besser gemeinsam: Die EU als Bollwerk in einer zunehmend protektionistischen Welt

European Union flags flutter outside the European Commission headquarters, in Brussels
European Union flags flutter outside the European Commission headquarters, in BrusselsREUTERS
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Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Jörn Kleinert über die Stärken der EU - und über einen nötigen Strukturwandel.

Das Signal der Einigkeit und des Aufbruchs, das sich viele von der letzten EU-Wahl erhofft haben, ist mit der schwierigen Diskussion und den sehr intransparenten Verfahren der Kandidatenkür für die wichtigsten Positionen in der EU wieder zunichte gemacht worden. Einige Kriterien, die vorher als wichtig galten (Rolle der Spitzenkandidaten, Balance zwischen Ost und West und Groß und Klein) sind nun weniger wichtig. Das hat Kritik hervorgerufen und sicher Enttäuschungen. Es hat aber nicht dazu geführt, dass EU-Austritte einzelner Länder oder Ländergruppen gefordert oder auch nur in den Raum gestellt wurden. Das unterscheidet die Situation sehr von der Diskussion vor zwei, drei Jahren, als es in vielen Ländern größere Gruppen gab, die einen Austritt ihres Landes aus der EU forderten.

Ein Handelsblock als Absicherung in protektionistischen Zeiten

Neben dem Brexit, der verdeutlicht wie schwierig es ist die Gemeinschaft zu verlassen, könnte die geänderte Stimmung bezüglich des Verbleibs in der EU auch mit einer geänderten weltwirtschaftlichen Situation zusammenhängen. Die Globalisierung ist einem Protektionismus gewichen, der seine eigene Dynamik entfaltet. Am deutlichsten war das am US-amerikanisch-chinesischen Zollwettlauf zu sehen, der längst nicht beendet ist, wenn auch immer wieder Versuche der Entspannung dieses Konflikts gestartet werden. Im Gegenteil, zunehmend werden protektionistische Maßnahmen von den USA auch zur Erreichung politischer Ziele verwendet, wie der letzte Streit der USA mit Mexiko um stärkere Anstrengungen gegen Migration zeigt. Auch die chinesische Regierung verwendet ökonomische Machtmittel für politische Ziele.

Der ökonomische Blick

Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Schutz vor schmerzenden protektionistischen Maßnahmen anderer bietet für kleinere Länder nur die Mitgliedschaft in einem Wirtschaftsblock mit ausreichender Größe und Stärke. Ökonomen der Welthandelsorganisation haben in einer Modellrechnung, die die Entwicklung protektionistischer Maßnahmen der letzten Jahre zugrunde legt und weiter fortschreibt, Handelsströme und Wachstumskonsequenzen errechnet, die erstens das zerstörerische Potential der derzeitigen protektionistischen Dynamik deutlich machen und zweitens zeigen, wie sehr die EU in diesem Prozess Schutz gewährt. Sie ist der Block, dem die geringsten Verluste prognostiziert werden. Stark verlieren werden dagegen kleinere Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft der großen Blöcke, wie die Schweiz, Norwegen oder auch Großbritannien. Die Forscher gehen von einer signifikanten Asymmetrie in den Zollsätzen aus, in der große Blöcke hohe Zölle erheben als kleinere Länder durchsetzen können, was die Exportchancen zugunsten der Unternehmen aus größeren Ländern oder Wirtschaftsregionen verändert.

Der innere Zusammenhalt muss erarbeitet werden

Das heißt nun aber auch wieder nicht, dass eine stärker in Wirtschaftsblöcken strukturierte Welt, die von einander stärker abgeschottet agieren, keine größeren Konsequenzen für die Länder der EU hätte. Was für die Gesamtheit der Länder noch zutreffen mag, stimmt für die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht mehr. Globalisierte Industrien wie die Autoindustrie oder der Maschinenbau werden in dieser Welt schrumpfen. Industrien wie die Textilindustrie, in denen die EU in den letzten Jahren viele Marktanteile abgegeben hat, werden gewinnen. Nun sind Industrien aber nicht gleichmäßig über die Mitgliedsstaaten der EU verteilt, sodass es in einigen Ländern mehr Verlierer und in anderen mehr Gewinner geben wird. Natürlich sind da Konflikte vorprogrammiert, die auch auf europäischer Ebene ausgetragen werden müssen. Da gehören sie auch hin. Es ist Aufgabe der Regierungen der Mitgliedsländer die Interessen ihrer Bevölkerung auf supranationaler Ebene zu vertreten.

Die Herausforderung besteht in diesem Punkt nicht darin eine einheitliche Position der EU zu erarbeiten und zu vertreten. Das ist gar nicht möglich. Die Herausforderung besteht darin, auf supranationaler Ebene Diskussions-, Abstimmungs- und Ausgleichsmechanismen zu entwickeln, die die unterschiedlichen Positionen einzelner Mitgliedsländer einbeziehen und nicht unterdrücken. Ohne ein offenes Diskutieren, Be- und Aushandeln unterschiedlicher Interessen wird es nicht gehen. Es wird langfristig wahrscheinlich auch nicht ohne Transferzahlungen - welcher Art auch immer - gehen. Selbst von diesen Diskussionen sind wir noch weit entfernt und der Start in die neue Legislaturperiode machte nicht unbedingt Mut. Die um sich greifende Einsicht, dass es in einer stärker protektionistischen Welt gemeinsam besser geht, schon.

Während der Globalisierung haben Ökonomen, Politiker, aber auch die öffentlichen Diskurse die Kosten des mit der Globalisierung einhergehenden Strukturwandels weitgehend ausgeblendet. Das hat die EU ab 2012/13 in eine große Krise gestürzt und viel Vertrauen gekostet. Auch in der sich ankündigenden Zeit des Protektionismus wird ein Strukturwandel nötig sein, was Gewinner und Verlierer hervorbringen wird. Das auch auf EU-Ebene zu adressieren und Kompensationsmechanismen zu etablieren wird wichtig, um den Zusammenhalt der EU-Mitgliedsländer zu erhalten.

Weiterführende Links:

Eddy Bekkers and Robert Teh (2019):
POTENTIAL ECONOMIC EFFECTS OF A GLOBAL TRADE CONFLICT: Projecting the medium-run effects with the WTO Global Trade Model. World Trade Organization. Staff Working Paper ERSD-2019-04.

Aaron Flaaen, Ali Hortaçsu, and Felix Tintelnot (2019):
The Production, Relocation, and Price Effects of US Trade Policy: The Case of Washing Machines. University of Chicago BFI WORKING PAPER · NO. 2019-61.

Der Autor

Jörn Kleinert (* 1970 in Berlin) ist Professor für Internationale Ökonomik an der Universität Graz. Er ist Vorstand des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz und amtiert derzeit als Generalsekretär der Nationalökonomischen Gesellschaft (NOeG).

Jörn Kleinert
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