Raimundfestspiele Gutenstein: So tötet man seinen Raimund

Ihm fehlt es an leisen Tönen: Johannes Krisch als Ferdinand Raimund mit Hund Ariel.
Ihm fehlt es an leisen Tönen: Johannes Krisch als Ferdinand Raimund mit Hund Ariel.Raimundfestspiele
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Felix Mitterers Stück „Brüderlein fein“ irrt zwischen Mitterer und Ferdinand Raimund herum. Letzteren schlägt Johannes Krisch vollends k. o.

Es waren ja tiefsinnige und schöne Worte, die Intendantin Andrea Eckert vor Beginn der Uraufführung von Felix Mitterers Stück „Brüderlein fein“ dem Publikum servierte. Als Schauspieler habe er die Herzen der Zuschauer gebrochen, sagte sie über den jüngeren Ferdinand Raimund, für den das Publikum Schlange stand (als es auch noch keinen Konkurrenten Nestroy gab). Beim Spielen habe er aber wohl auch sein eigenes Herz mitgebrochen.

Der Tiroler Autor Felix Mitterer, bekannt geworden durch moderne Volksstücke wie „Kein schöner Land“ oder „Sibirien“ ebenso wie für das Drehbuch zu „Die Piefke-Saga“, hat in sein neues Theaterstück feinsinnige Denkanstöße zum im Grunde brutalen Verhältnis von Schauspieler und Zuschauern, Schauspieler und Gesellschaft eingewoben. Da übernimmt etwa ein unsichtbares Theaterpublikum die Rolle der Öffentlichkeit und zwingt Ferdinand Raimund durch „Heirat' ihr!“-Zurufe, jene Frau zu ehelichen, die ihm in Wahrheit nur ein Kind unterschieben will (das vom Fürsten Kaunitz stammt).

Das schmarotzende Publikum

Davor schon hat die Moral der bürgerlichen Gesellschaft dafür gesorgt, dass Raimund jene Frau, die er liebt, die Kaffeehaustochter Antonie Wagner, nicht heiraten darf: Deren Mutter lässt sich zwar liebend gern im Theater unterhalten, im wirklichen Leben aber hält sie Schauspieler für unmoralisches Gesindel. „Nicht wir spielen, sie spielen“, sagt eine Kollegin Raimunds einmal über die Zuschauer. Das bürgerliche Publikum schmarotze von den Gefühlen der Schauspieler – und verachte sie zugleich.

Gäbe es nur mehr solcher feiner Momente im neuen Stück des 71-jährigen Mitterers! Doch irgendetwas scheint bei „Brüderlein fein“ grundlegend falsch gelaufen, das Auftragswerk mehr Auftrag als Werk. Hat der Wunsch oder die Vorgabe, eine Annäherung an den Menschen Ferdinand Raimund in dessen eigenen Stil zu verpacken, dem Theaterautor Mitterer die Flügel gestutzt? Man weiß nicht, wie Raimund seine eigene Autobiografie als Theaterstück aufgezogen hätte, er hat es jedenfalls nicht getan, weil er auch kein Bekenntnis-Dramatiker war, er war ein Bühnentier durch und durch, wollte unterhalten, beeindrucken, träumen machen, als Schöpfer tragischer Welten anerkannt werden. Sein Stil taugt nicht zur Zeichnung eines Individuums – wie es „Brüderlein fein“ versucht.

„Brüderlein fein, du wurdest mir ein Bruder“, schreibt Mitterer im Programmheft – auf der Bühne spürt man davon keinen Hauch. Brav chronologisch und erstaunlich uninspiriert werden in der Sprache des Alt-Wiener Volkstheaters Raimunds Liebesleben, seine Theaterkarriere und seine wachsende Hypochondrie nacherzählt, die ihn schließlich in den Selbstmord treibt: ein Raimund-Abklatsch.

Johannes Krisch: kraftlos vor Kraft

Dass „Brüderlein fein“ zwischen Mitterer und dem alten Wiener Volkstheater herumirrt, ist bei den Raimundfestspielen Gutenstein aber noch nicht das Hauptproblem – das ist der Hauptdarsteller. Johannes Krisch ist kurz vor dem Tod am lebendigsten; endlich passt sein Toben und Grimassieren, wenn Raimund im Wahn versinkt. Als junger Raimund ist er eine unbegreifliche Fehlbesetzung – und er ist es überhaupt, weil es seinem Spiel bis zur Selbstparodie an leisen Tönen fehlt. Es lenkt ab vom Text, statt ihn auszudrücken, zertrampelt selbst die feinsten Passagen. Es ist kraftlos vor lauter Kraft.

Es gibt auch gute Nachrichten aus Gutenstein im Piestingtal, neben der gewohnt herrlichen landschaftlichen Umrahmung, etwa Anna Rieser und Lisa Schrammel als Raimund-Geliebte und Raimund-Freundin. Und für das Gros des Publikums gab es ohnehin keine schlechten: Es bedankte sich mit Standing Ovations, am meisten beim Hauptdarsteller. Die Gutensteiner dürften Mitterer noch aus einem speziellen Grund in guter Erinnerung behalten: „Brüderlein fein“ huldigt dutzendfach der Schönheit ihres Heimatortes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2019)

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